18. „Der Schriftsteller als Rumäniendeutscher“

Wer vom Rand einer Kultur in ihr Zentrum zieht, sieht sich von Paradoxien umgeben. Normalität wird ihm nicht gewährt.

Richard Wagner wurde 1952 im rumänischen Banat geboren. Nach Repressalien unter dem Ceausescu-Regime kam er zusammen mit seiner damaligen Ehefrau Herta Müller 1987 in die Bundesrepublik. Er lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin.

 

Auf die Sprache ist man angewiesen, und zugleich ist man der Sprachregelung ausgesetzt: «Rumäniendeutsch». «Deutschrumäne». «Rumäne». Niemand in meiner Familie hat sich jemals als Rumäniendeutscher bezeichnet. Meine Grosseltern waren in ihrer Jugend noch Staatsbürger der Doppelmonarchie, «Ungarndeutsche». 1919 machten die Pariser Vorortverträge sie zu rumänischen Staatsangehörigen, also «Rumäniendeutschen», ohne dass sie ihr Heimatdorf verlassen hätten. Sie selbst verstanden sich stets als Banater Schwaben, als Deutsche. Rumänisch blieb für sie, wie davor das Ungarische, eine Fremdsprache.

Die Frage nach den deutschen Minderheiten, nach Vertreibung und Aussiedlung führt unmittelbar zur Frage nach dem Deutschen selbst. Nie war das Wissen der Deutschen über sich so gering wie in den letzten Jahrzehnten. Ein guter Deutscher legt bis heute Wert darauf, nicht zu wissen, was deutsch ist. Im Ergebnis kommen oberflächliche Begriffe zum Zug. So auch die Formeln «deutschsprachig» und «deutschsprachige Literatur». Als sei Sprache nichts weiter als eine Summe von in Buchstaben gegossenen Lauten. Als verberge sich in ihren Wendungen nicht ein kulturelles Muster.

Der verkannte Rand ist von der Mitte fasziniert, einer Mitte, die ihre Unwissenheit über diesen Rand geradezu brüskierend zur Schau stellt. Sie brauche das Periphere nicht, sagt sie, aber sie sagt es auffallend deutlich. Die Mitte ist nicht nur meinungsführend, sie ist auch bei Kasse.

Der grosse Traum des Minderheitenschriftstellers bleibt die Anerkennung durch das Zentrum. Er will als deutscher Schriftsteller gelten. Die meistgestellten Fragen, mit denen man als rumäniendeutscher Autor konfrontiert ist, lauten: Wann haben Sie Deutsch gelernt? Schreiben Sie auch Rumänisch? Sind Sie zweisprachig aufgewachsen? Hat sich Ihre Sprache durch die Auswanderung verändert? Und, nach einer kleinen Pause: Fahren Sie noch hin? – Kaum einer, der sich nach dem Unterschied zwischen dem Schreiben im Kommunismus und jenem in der westlichen Gesellschaft erkundigt. Nach den Paradoxien, mit denen ein Autor konfrontiert wird, der ausgewandert ist, ohne in einem Exil zu leben, und der durch seine Entscheidung gleichermassen der Provinz, dem Kommunismus und dem rumänischen Nationalismus eine Absage erteilt hat. / NZZ 4.11.

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