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»Tolú«, seine Gedichte aus Kolumbien, »Feuerhalm», schließlich »Entgrenzen« (seine Altersgedichte), waren immer nur einem kleinen Kreis von Lesern wichtig, aber die konnten sie nicht vorstellen, ohne sie zu leben. Und wieder war es der Rostocker Hinstorff Verlag und sein Führungsduo Kurt Batt und Konrad Reich, die dem Befeindeten – wie so vielen anderen im Zentrum der Kulturpolitik Beargwöhnten, von Fühmann, Plenzdorf, Fries bis Jurek Becker – eine Verlagsheimat boten.
Spanien an der Ostsee? Das Meer war für Arendt Metapher für Glanz und Abgründigkeit aller Sehnsüchte. Bei Hinstorff erschien dann 1968 der umfangreiche Band »Aus fünf Jahrzehnten. Gedichte von Erich Arendt«, mit einem Essay von Heinz Czechowski, später dann auch »Spanien-Akte Arendt«.
Was fasziniert an seiner Sprache, die ihn zu einem der wichtigsten deutschen Lyriker des 20. Jahrhunderts machte? Dass er sich den Eros der Worte von niemandem, keiner Ideologie, keinem guten politischen oder moralischen Zweck je abhandeln ließ, von kommerziellen Zwecken gar nicht zu reden. Arendt war auf hinreißende Weise kryptisch, gemessen an herrschenden Uniformitäten geradezu elitär, man musste sich mühen, in seine Wortwelten, die einen inneren Traumlogik folgen, einzudringen – und da war man immer nur ein kurzer, wenn auch reichlich beschenkter Gast. In dem Gedicht »Abseitshell« lese ich: »Wort / alt wie das Meer / sterblich / mit mir // daß sichtbar / sein Pulsschlag / mach hautlos / fest das Gedicht // fern sind die Schüsse / mauernarbend«. / Gunnar Decker, ND 25.9.
Oder muss man bei Arendt die Metapher „Griechenland“ als Kritik an der Reisepolitik der DDR lesen? Dann wäre es aber vielleicht besser gewesen, er hätte über die USA geschrieben.
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Jedenfalls Lieschen Müller stellt es sich so vor. – Arendt hat über Amerika geschrieben: Lateinamerika. Wichtige Texte. Über die USA fällt mir jetzt nur ein Gedicht aus der stalinistischen Phase ein: Im Hafen von New York. Amerikanische Entzauberung (1950). Da kehrte er nach 20 Jahren Exil und Irrfahrten nach Europa zurück. Die DDR kannte er zu dieser Zeit noch nicht. Da schrieb er schon 25 Jahre. „Die Dichter wohnen in den Jahrhunderten“, schrieb Elke Erb: in dem Kontext finden Sie Adolf Endlers Müllkübel und auch Erich Arendt.
(Gegen Klischees im Kopf, die wir, wenn wir uns nichts vormachen, alle haben, auch weil sie im täglichen medialen Beschuß zementiert werden, hilft viel lesen, vielseitig und so vorurteilsfrei wie möglich. – Das kann fast eine Maxime der Lyrikzeitung sein: und deshalb suche ich in vielen Richtungen, auch im „Neuen Deutschland“. Oder in thüringischen oder rheinischen Provinzzeitungen.)
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Was ich eigentlich sagen will: Arendt 25 Jahre nach seinem Tod zu einer Art Widerständler gegen die DDR-Oberen umfunktionieren zu wollen, geht wohl ein bisschen zu weit. So wie sich der DDR-Normalbürger ins KLeinbürgerliche seiner Kleingartenkolonie zurückzog, so zog sich Arendt auf das Huchel-Anwesen zurück, um sich ein wenig aus der Schusslinie der Alltagspolitisierung zu nehmen.
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Da Sie mich fragen: die Formulierungen klingen mir zu klischeehaft. Als Arendt in Huchels Haus zog, war dieser Bruch längst vollzogen. Was soll „Alltagspolitisierung“ heißen, bezogen auf Arendts Bände „Ägäis“ (1967) oder „Feuerhalm“ (1973), beide vor Huchels Ausreise geschrieben? Man könnte sie lesen – außer der Werkausgabe gibt es die Ausgabe in Einzelbänden bei Rimbaud, in der Ägäis enthalten ist.
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Zu diesem Artikel müsste doch der DDR-Lyrik-Experte Gratz eine ganz eigene Meinung haben. Zählte nicht Arendt in den ersten Jahren der DDR zu den wenigen guten Dichtern, die noch Oden, Hymnen etc. auf Stalin schrieben? Sollte es aus dieser Zeit Bände geben, dann sind die heute vermutlich noch nicht einmal antiquarisch zu haben.
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Sehr geehrte Frau Hannah Arendt, in diesem Punkt irren Sie. Man findet Arendts mittleres Werk einschließlich der Stalinoden sowohl antiquarisch als auch in der zweibändigen Werkausgabe, die 2003 bei Agora erschienen ist. Gelegenheit also, zu diffenzieren, wenn man denn will. Arendt ist alt geworden und hat in 6 Schreibjahrzehnten mehrere Brüche vollzogen – auch den schmerzlichen Bruch mit utopischen Vorstellungen, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts viele Menschen und auch Dichter – weltweit – teilten. Bei Arendt war der Bruch schmerzlich und gründlich. Sollten Sie einer Generation oder Menschengruppe angehören, die keine Brüche nötig hat, kann man gratulieren. Oder auch nicht.
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