19. Erinnerung

Als meiner Dissertation über DDR-Lyrik vom Wissenschaftlichen Rat aus ideologischen Gründen („bürgerlicher Objektivismus“ etc.) die Annahme verweigert wurde, sagte ein Kollege, um Erklärung bemüht: Du zitierst zu oft Adolf Endler. Ja, und wie denn nicht? Er war der beste Kenner dieser Literatur. Mein Doktorvater Hans Jürgen Geerdts (der noch zwei Wochen vorher gesagt hatte: Wir wollen doch Ehre einlegen, und der über die Affäre als Chef der Literaturwissenschaft gestürzt wurde drei Wochen später, weil er „die Wachsamkeit vernachlässigt“ hatte), löste das Problem, indem er einen in Greifswald nicht angreifbaren Außengutachter vorschlug, seinen Jugendfreund Horst Haase, quasi der Lyrikpapst des Ländchens. Der schrieb ein faires Gutachten, obwohl er hauptsächliches Ziel meiner kritischen Lesart war – er hatte Humor, nehme ich an.

Als „korrupt“ habe Endler den 1981 in der DDR erschienenen Gedichtband „Akte Endler“ bezeichnet. Mag sein – aber damals war es ein Novum, daß überhaupt ein Buch des aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossenen Autors erschien; und das Buch enthielt die meisten Texte aus dem zwei Jahre zuvor bei Rowohlt erschienen Band „Verwirrte klare Botschaften“, darunter „Akte Endler“, „Aus den Heften des irren Fürsten“, „Absage“ oder „Der Unbequeme“:

Daß man ihn endlich aus dem Land rausschlage
Auf jede Antwort weiß das Schwein die Frage

Das war jetzt zitierbar. Endlers andere Bücher mußte ich in Leipzigs Deutscher Bücherei lesen oder als Fernleihe im Greifswalder Lesesaal, wo sie aus dem Stahlschrank gereicht und nach dem Lesen wieder verschlossen wurden, auf daß sie kein anderer lese. (In meinem Exemplar des DDR-Bändchens sind alle Abweichungen vom Text des Rowohlt-Bandes minutiös markiert).

Endler fehlt uns.

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