Biermann übersetzt Dylan

. ..frei:

„Blindly punchin‘ at the blind / breathin‘ heavy / stutterin‘ / an‘ blowin‘ up/ where t‘ go / what is it that’s exactly wrong / who t‘ picket? / who t‘ fight. Auf deutsch heißt das dann: „Ich tapp ne fremde Straße runter, seh / die Häuser schwer verrammelt wie / Tresor / blind baller ich mit bloße Hände / an irgend so ’ne Jalousie / schwer keuchend / stammel ich und stotter / dann brüllt was aus mir raus: / Wo lang? / Was läuft verkehrt?/ Wen anknalln? Welchen nassen Sack / mit Spottgesängen niedersingen? / Und welche Killer in die Knie zwingen? / Wie zeigen wir’s dem etablierten Pack?“

Bei Shakespeare hätte er das nicht gewagt, gesteht Biermann, aber dieser Text Dylans sei so unverschämt jung, da fühlt man sich an die eigene Aufmüpfigkeit erinnert und hat dazu viel eigenen Trotz beizusteuern.

Bob Dylan war damals 24, heute klänge manches bei ihm sicher auch anders. Leider kann man ihn nicht fragen, was er von Biermanns „Transportarbeit am Text“ hält. Dazu müsste jemand alles wieder mühsam zurückübersetzen. Biermann jedenfalls hält Dylan für den größten Dichter Amerikas in unserer Zeit. / Hamburger Abendblatt 17.10.03

Hamburger haben´s auch nicht schlecht: Gerade gastiert Dylan in Hamburg, und Wolf Biermann liest Dylan im Schauspielhaus am 23. Oktober 2003, 20 Uhr.

„Eleven Outlined Epitaphs / Elf Entwürfe für meinen Grabspruch“, Kiepenheuer & Witsch. 16,90 Euro

Rezension aus dem Rheinischen Merkur vom 9.10.03 / Hier ein Gespräch des Spiegel (13.10.03) mit dem Übersetzer:

SPIEGEL: Trotzdem noch mal: Wie kommen Sie dazu, dem Dichter Dylan viele Zeilen hinzuzufügen und ihm Worte unterzuschieben wie „Apokalypse“, „Panik“, „Menschheit“, „Weltgeschichte“, die allesamt im Original nicht vorkommen?

Biermann: Das habe ich ihm reingeschoben, wie man einem alten Mütterchen vor der Grenze ein Pfund Kaffee in den Korb schiebt und ihn nach der Grenze wieder zurückklaut.

SPIEGEL: Hätten Sie sich solche Frechheiten auch mit Shakespeare erlaubt?

Biermann: Nein.

SPIEGEL: Warum dann bei Dylan, den Sie doch so hoch schätzen, dass Sie sogar den Literatur-Nobelpreis für ihn fordern?

Biermann: Weil es sich bei diesem Text um ein Frühwerk handelt. Das hat Dylan, ohne Übertreibung, rausgerotzt. Es ist die Antrittsrede eines Dichters, mit der ganzen Unverschämtheit des Anfängers. Sehr amerikanisch, das heißt intelligent und unverfroren, schnappt sich ein junger Mann frech den Tod – und dichtet, am Anfang seines Lebens, seinen Grabspruch. Und die Pointe dieses etwas langen Spruchs: Er kulminiert in dem besten Zitat, das man aus dem alten Europa beziehen kann – in den Zeilen des großen Engländers John Donne aus dem 17. Jahrhundert, wo sich die berühmten Worte finden: „Kein Mensch ist eine Insel für sich selbst …“

SPIEGEL: Und sogar Bertolt Brecht kommt bei Dylan vor – ohne Ihre Nachhilfe.

(Hier ein Spiegel-Bericht über Dylans Hamburger Konzert)

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