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Der syrische Dichter Adonis und der iranische Theologe Mohammad Schabestari im Gespräch in der Süddeutschen am 11.6.02
In der Einleitung schreibt die SZ:
Der Dialog zwischen dem arabischen Poeten und dem iranischen Theologen wird ohne Schonung gegenüber den eigenen Traditionen geführt. In ihm kann man die Vorzeichen einer weitreichenden Reformation der muslimischen Welt sehen. Das Gespräch zwischen Adonis und Mohammad Schabestari fand auf Einladung von Navid Kermani im Wissenschaftskolleg Berlin statt.
Schabestari: … In der islamischen Welt ist heute nichts von einer modernen linguistischen oder philosophischen Interpretation der religiösen Texte zu beobachten. Entsprechend erstarrt und verarmt ist unser geistiges Leben; und es beruht daher auf Wiederholung und Restauration. Es wäre also die Aufgabe eines muslimischen Denkers, wenn er das islamische Geistesleben tatsächlich voranbringen möchte, die gesamte traditionelle Exegese hinter sich zu lassen, die religiösen Texte ganz neu zu betrachten und sich dabei von einem modernen hermeneutischen Verständnis linguistischer und allgemein philosophischer Art leiten zu lassen.
Adonis: Das würde erfordern, dass die Muslime die Exklusivität ihrer Perspektive und ihres Denkens aufgeben und Pluralität in jeder Form und auf jeder Ebene zulassen.
Schabestari: Ja, ganz sicher, und Pluralität in der Exegese heißt auch die Akzeptanz verschiedener Lesarten. Letztlich bedeutet dies die Akzeptanz unterschiedlicher Meinungen und Auffassungen innerhalb des einen Islams, also die Bereitschaft, unterschiedliche Lektüren und Deutungen ein und desselben Textes weder generell zurückzuweisen, noch andere Lektüren und Deutungen zu diskriminieren, zu marginalisieren oder zu verketzern.
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