Hölderlin fragmentarisch

Reinschriften, sofern sie nicht Überarbeitungen zeigen, scheinen fertig zu sein. Das Homburger Folioheft und die Handschriften, die darum herum liegen, also nach 1802, nach der Rückkehr aus Stuttgart bis hinein in den Tübinger Turm 1807, zeigen eine andere Form der Notation. In ihnen bildet Hölderlin sozusagen den abendländischen Orbis nach, wie er sich gerade in seiner Jugend nun erst darstellte. Es ist das Zeitalter der Entdeckungsfahrten, es werden die Inseln entdeckt, es gibt nicht mehr den antiken ptolemäischen Orbis, wo Afrika, Europa und Asien eine einzige zusammenhängende Landmasse bilden mit Delphi im Zentrum oder mit Jerusalem oder mit Rom. Jetzt ist es tatsächlich eine Inselwelt. Insofern spricht Hölderlin davon, dass seine Dichtung die Gestalt des Erdballs annimmt. / D.E. Sattler im Gespräch über seine Edition der „Hesperischen Gesänge“, NZZ 19.1.02

Dort außerdem eine Besprechung der Bände 7/8 der Frankfurter Hölderlinausgabe durch Ralf Müller:

Die Frankfurter Ausgabe macht einen modernen Schriftsteller lesbar, der die Sprache nicht einfach wie ein Werkzeug zu einem Zweck benutzt, der Gedicht heisst. Immer wieder korrigiert Hölderlin seine Zeilen, streicht oder überschreibt, verändert auch vermeintlich Fertiges. Alles scheint im Fluss der Schrift, nichts endgültig. Hölderlins Manuskripte zeigen mitunter die verwirrende Schönheit mittelalterlicher Palimpseste.

Friedrich Hölderlin: Historisch-Kritische Ausgabe. Hrsg. von D. E. Sattler. Band 7/8: Gesänge I/II. Stroemfeld-Verlag, Frankfurt am Main, Basel 2001. Zus. 1023 S., Fr. 386.- (Subskriptionspreis bei Abnahme aller Bände Fr. 335.-).
Ders.: Hesperische Gesänge. Hrsg. von D. E. Sattler. Neue Bremer Presse, Bremen 2001. 144 S., Euro 24.60.
D. E. Sattler: Am Euphrat. Neue Bremer Presse, Bremen 2001. 96 S., Euro 18.60.

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