Kerstin Hensels Liebesgedichte

Was ich hier aus Versen herauslese und in Prosa zu übersetzen versuche, enthält etwas Ungewöhnliches, ja Einmaliges in der Liebeslyrik. Ich muss hinzufügen: der von Frauen. Denn männliche Liebeslyrik handelt – im allgemeinen, falls ich Ausnahmen nicht kenne – nicht von Genossenschaft, von Egalität, sondern, sofern sie nicht auf Leibliches beschränkt ist, vom Aufblick der Geliebten. Das Ungewöhnliche hier aber ist das Fehlen einer Klage. Damit enthalten die Gedichte eine Trauer, die so, wie sie hier erscheint, neu ist in Kerstin Hensels Lyrik. Ihr Wort ist Einsamkeit – einmal »ein feiges Tier«, ein andermal »ihr süßes Kommen«. Manchmal ist es nicht mehr zu ertragen: »Manchmal mit zerkauter Zunge / Spuck ich dir die Hohen Lieder / Vor die Füße…«. Gilt der sächsische »komische Blick« auch dann noch, wenn »Die Ersten« bereits aus dem Leben gehn? Ein Hauch Ironie, als hätten sie es so gewollt, die doch einst zum Kreis der weltverändernden Freunde gehörten, scheint wie eine Art Selbstschutz. Am Ende: »Es ist alles besprochen / Und der Tod sagt zu mir: Nimm dir Zeit. / Ich geh / Schon mal vor.« / Ursula Püschel, Neues Deutschland 3.1.02

    Kerstin Hensel: Bahnhof verstehen. Gedichte 1995–2000. Luchterhand. 115 Seiten, Broschur, 8,50 Euro.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..