2001 April

Misere der Moderne

Das Bemühen um deutliche Abgrenzung ist erkennbar, mit dem der Lyriker und Germanist Dirk von Petersdorff seinen Feldzug gegen die vermeintlichen Altlasten der literarischen Moderne unternimmt. Ihn nerven die „Metadiskurse der Bartträger „, die Verlogenheit der machtbewussten „Priesterliteraten“ und jene ordnungsliebenden Staatskünstler, die die Kunst politisch funktionalisieren wollen. Petersdorff spricht in seinem Essayband „Verlorene Kämpfe“ vom „Zustand einer erschöpften Moderne“, die nur noch betrieblich intakt sei und Inhalte und Werte vermissen lasse. / Hannoversche Allgemeine 17.4.01 (Vielleicht ist er auch nur neidisch? fragt ein – machtloser – Bartträger).

Gabriele D’Annunzio -Ausstellung in Rom

Der Siebzehnjährige meldete, nachdem sein erster Gedichtband in zweiter Auflage erschienen war, seinen Tod – um aufzufallen. Und das blieb sein Programm: Der fleissige Dandy arbeitete, als Dramatiker wie als Patriot, als Weltmann wie als Einsiedler, als Sammler wie als Herzensbrecher, als Lyriker wie als Kämpfer zu Land, zu Wasser und in der Luft, an seiner Auffälligkeit; und aus Zeugnissen einer – wie man allerdings sagen muss – genialen Auffälligkeit besteht die ihm gewidmete Ausstellung. / NZZ 17.4.01

Wir lernten die Welt durch ein Gedicht kennen

„zuerst die grossen zeitgenössischen lateinamerikanischen Erzähler, dann Cervantes, dann García Lorca und mit ihm eine Zeit der Lyrik-Lektüre“… sagt der Zapatistenführer Subcomandante Marcosim Gespräch mit dem kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez über Dichtung und Politik / Tages Anzeiger 17.4.01

Hannibal Lecter mailed him,

Jim Morrison quoted him, Daniel Boorstin made him into cover art. William Blake is everywhere… (sagt Arts & Letters Daily ) Mehr in der Village Voice .

Der 61-jährige

Lyriker Stephen Dunn erhielt den mit 7500 Dollar (rund 17.000 Mark) dotierten Pulitzer-Preis für seine Gedichtsammlung „Different Hours“.

 

LORD BYRON, the poet who scandalised England

with his hellraising exploits, was actually a psychopath, according to new research by a leading psychiatrist. / Telegraph 15.4.01

Von der Uno ausgezeichnet

und mit internationalem Erfolg – trotzdem droht der Internet-Plattform Lyrikline.org das Aus

Seit November 1999 läuft in der Literaturwerkstatt Berlin das Internet-Projekt Lyrikline.org. In einer audiovisuellen Bibliothek können online derzeit etwa 450 Gedichte von 45 Dichtern in 12 Sprachen abgerufen werden von H.C. Artmann bis Leo Tuor. Das Projekt, das für seine Internationalität von Uno und Unesco ausgezeichnet wurde, war mit einem Etat von 400 000 Mark gestartet und sollte jährlich mit 200 000 Mark gefördert werden. Doch Projektleiter Heiko Strunk hat seit drei Monaten kein Gehalt mehr bekommen. Das Weiterbestehen dieser einmaligen Internet-Plattform ist gefährdet. Mit Thomas Wohlfahrt, dem Leiter der Literaturwerkstatt Berlin, sprach Antje Schmelcher./ Die Welt 16.4.01

Grenzgänger der Kulturen

1977 konnte der vierzigjährige Dichter die Sowjetunion verlassen. Er emigrierte in die USA, wo er seit 1980 an der Yale University Slawistik lehrt.

Venclova ist ein Grenzgänger der Kulturen: Seine geistige Heimat liegt nicht nur in Litauen, sondern in gleichem Mass auch in Polen und Russland. Die Denotationen dieser Staatsnamen verflüchtigen sich in der komplizierten Geschichte dieser Region ohnehin – Litauen war lange polnisch oder russisch beherrscht und kannte vor 1991 nur in der Zwischenkriegszeit eine kurze Periode der Unabhängigkeit. Deshalb ersteht Osteuropa in Venclovas Lyrik als einheitlicher Kulturraum, der die politischen Grenzen überwindet. Das heisst jedoch nicht, dass sich die Literatur um die Politik foutieren könnte. Im Gegenteil: Gerade die geschichtlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts haben den osteuropäischen Dichtern in aller Deutlichkeit ihre ethische Verantwortung ins Gewissen gerufen.

Tomas Venclova: Vor der Tür das Ende der Welt. Gedichte. In der Übertragung von Rolf Fieguth. Interlinearübersetzung von Claudia Sinnig-Lucas. Mit einem Essay von Joseph Brodsky. Rospo-Verlag, Hamburg 2000 / NZZ 14.4.01 – In der FAZ vom 18.4. bespricht Ralph Dutli das Buch.

 

Es ist der Fluch Ostmitteleuropas,

dass das 20. Jahrhundert der lang währenden, nicht immer friedlichen, aber immerhin gelebten Kulturvielfalt ein blutiges Ende gesetzt hat. Zwei verheerende Weltkriege und ihre totalitären Ideologien haben aus den einst blühenden Städten bestenfalls ethnisch einheitliche Zentren mit sorgfältig restauriertem Architekturerbe, schlimmstenfalls aber gesichtslose Anhäufungen von Plattenbauten gemacht. Angesichts der postsowjetischen Tristesse stellt sich die Frage nach den verlorenen Traditionen in aller Dringlichkeit. Im Oktober 2000 trafen sich die Nobelpreisträger Günter Grass, Czeslaw Milosz und Wislawa Szymborska sowie der litauische Dichter Tomas Venclova in Vilnius, um den Kalamitäten der ostmitteleuropäischen Geschichte nachzuspüren.

Günter Grass, Czeslaw Milosz, Wislawa Szymborska, Tomas Venclova: Die Zukunft der Erinnerung. Herausgegeben von Martin Wälde. Steidl-Verlag, Göttingen 2001. 96 S., Fr. 26.20. / Neue Zürcher Zeitung, 14. April 2001

Über das „poetische Peterprinzip „

schreibt JOAN HOULIHAN in der Online-Zeitschrift Web del Sol aus Boston: The Argument for Silence: Defining the Poet Peter Principle. How Contemporary American Poets are Denaturing the Poem, Part III

(Ankündigung der Redaktion: Now legendary hard-hitter, Joan Houlihan, finds silence to be a suitable antidote. This new Boston Comment is going to create howls of relief and indignation. Stir ‚em up, Ms. Joan!)

Außerdem in Web del Sol (bzw. Diagram) : Das Gedicht Mandelstam in Limbo, über das sein Autor Andrew Davis sagt, es sei „obviously, a recasting of the beginning of Dante’s Inferno, with myself, or the „I“ in the poem, as Dante and Mandelstam as Virgil. Virgil was Dante’s supreme intercessor in matters of morality and inspiration; Mandelstam is mine.“ (und mehr!)

Probebohrung

Die besten Gedichte des Bandes scheuen die lärmenden Zentren – und sie meiden die gleißenden Jahreszeiten. Stattdessen suchen sie die Perioden mit raschen Lichtwechseln und klammen Temperaturen, wo Regen, Wind und Nebel als bewegte, verschleiernde Genossen die Zeiten beherrschen. Und so ahnt man beim Anblick eines Fisches, in einer Hütte vor herbstlicher Küste auf eine Zeitung gebettet, – „das licht entzieht sich leise, das papier / nimmt tropfenweise meere in sich auf“ -, in ein Zwischenreich geführt zu werden. Während eines Besuchs im kretischen Kloster Arkadi, bei Regenwetter, – „die geschundenen schädel der märtyrer in der vitrine / deren glas beschlägt vom atem der lebenden“ -, beginnt man Stimmen zu vernehmen, von denen eine sagt: Dieser junge Lyriker versteht es, die Sprache auf Kundschaft auszuschicken.

Jan Wagner: Probebohrung im Himmel. Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2001, 80 S., 24 Mark. / Berliner Zeitung 14.4.01

Raphael Urweider reist

zu Lesungen, zwei- bis dreimal die Woche, in deutschsprachigen Ländern, kürzlich sogar in Ägypten. Außerdem arbeitet er an Projekten: Pop, Hip Hop, Theatermusik. Der hagere Dichter erzählt langsam, überlegt, mit leisem Witz, trägt Gedichte aus seinem Buch „Lichter in Menlo Park“ vor.

Zu seinen Versen, über Erfinder und über Kleinbauern, spielt er Klavier. Dass dabei einzelne Worte untergehen, nehme er in Kauf, sagt er, denn: „Was bleibt von einem Text? Doch nur eine Stimmung.“/ Darmstädter Echo 14.4.01

Ob Kurt Aebli

einen Roman schreibt, Kurzprosa oder Lyrik, er zielt immer auf dasselbe Zentrum hin, das er beharrlich umkreist, ertastet und attackiert. Er sucht darin das «spurlos Vorhandene», wie er es in seinem neuen Gedichtband «Die Uhr» nennt. Das, was ohne Anwesenheit existiert, was nicht mehr ist oder gar nie geworden ist. Es zu fassen bedeutet «Die Umrisse / einer ausbleibenden Reaktion / nachzeichnen», «Eine längst annullierte Sache / an Land ziehen» / Der Bund 14.4.01

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