Noch einmal Provinz und Welt: Über einen Lyriker aus Zaire (DR Kongo) berichtet der Reutlinger General-Anzeiger, 11.11.02:
[Biko Jon’s alias Soso] Malila, der 1993 von Zaire nach Metzingen kam, hat bereits in seiner Heimat drei Zyklen verfasst. Veröffentlich hat er sie bisher noch nicht: »Ich suche noch einen Verlag.« Auf seinen Künstlernamen ist er stolz. Der unter dem Apartheids-Regime zu Tode gefolterte Steve Biko ist dem Dichter ein Vorbild. Wie den Mitgliedern der Tanzgruppe ist es ihm wichtig, sich Teile seiner Heimatkultur zu bewahren. Auch wenn in dem Land Krieg herrscht und die Diktatur Mobutus ihn und seine Freunde aus dem Land getrieben hat, so ist es dem Regime nicht gelungen, ihnen die Tradition oder Kultur zu entreißen. Gerade deshalb ist es ihm wichtig daran in seinen Gedichten durch die Schilderung von Riten, Sitten und Bräuchen festzuhalten.
Writer and Folk Art Advocate („a polymathic poet, an iconoclastic critic of modern culture, the author of more than 40 books and a tireless promoter of Haitian and other folk art“), Dies at 93/ DOUGLAS MARTIN, NYT *) 11.11.02
Außerdem in der NYT : Excerpts from ‚Def Poetry Jam‘
(sic) druckt Auszüge aus einer Lobrede Michael Brauns auf Michael Donhauser (zur Verleihung des Christian-Wagner-Preises ):
Denn es gibt etwas, was diese Lesart (der Naturmagie, d. Red.) stört, etwas, das nicht aufgeht in der unio mystica zwischen Dichter und Naturding. Es ist das zögerliche, stockende, mitunter auch bewusst stotternde, antigrammatische Sprechen (. . .) ein behutsames Drehen und Wenden der Wörter und Satzteile, ein kurzer Moment des Innehaltens vor der Sprache, eine auch nur geringe syntaktische Inversion – und schon kommt hier der Automatismus des Sprechens ins Stocken. Je näher der Lyriker ein Wort ansieht, desto ferner blickt es zurück.
Siehe auch Stuttgarter Zeitung 11.11.
Mehr Donhauser 1 /
Zwei Ausgaben des in Deutschland wenig bekannten „metaphysical poet“ George Herbert (1593-1633) bespricht Rüdiger Görner in der NZZ:
Herbert verstand sich aufs Spielen mit Sprachformen. Sein Gedicht «Easter-wings» ordnet die Verse in Form eines Flügelpaares an. Nun weist nicht jedes Gedicht, das sich solcher grafischer Mittel bedient, schon auf Mallarmé hin. Und es bedürfte einiger Anstrengung, um in Herbert nun wirklich den Modernisten unter den «metaphysical poets» auszumachen. Das Bemerkenswerte an diesen – im Deutschen bisher so gut wie unbekannten – Dichtungen besteht ja gerade darin, dass sie vergessen lassen, ob es sich hier um rein geistliche Lyrik handelt, um modernistische Versuche oder versuchte Wertebewahrung. …
Beide Übersetzer haben uns einen deutschen George Herbert geschenkt und damit ein Gegenbild zur Welt des nur Profanen. / NZZ 9.11.02
George Herbert: Poems. Ins Deutsche nachgebildet von Wolfgang Kaussen. S.P.Q., Frankfurt am Main 2001. 152 S., Fr. 35.-.
George Herbert: The Temple. Mit einer deutschen Versübersetzung von Inge Leimberg. Waxmann Verlag, Münster 2002. 473 S., Euro 39.-
Stefana Sabin bespricht neben anderen Shakespearebüchern:
William Shakespeare: Cupido lag im Schlummer einst. Drei neue Übersetzungen von Shakespeares Sonetten. Englisch-deutsche Ausgabe. Kritisch herausgegeben von Christa Jansohn. Stauffenburg-Verlag, Tübingen 2001. 356 S., Fr 110.-.
/ NZZ 9.11.02
…Manger, who was, as the editor and translator point out, a „modernist folk bard.“ His work is suffused with influences from European literature; he retells stories from the Bible, setting them in the contemporary world. He wrote verse that chills with its sense of ominous consequence for lost innocence:
An infected wind weeps in our garden;
Before our house, a scarlet lantern glows;
Death’s silver razors play, like fiddle bows,
White music on the throats of pious calves.
/ NYT *) 9.11.02
– wenn es nach Enzensberger geht. Der nämlich fordert in der FAZ vernünftige Preise für seine Gedichte:
Die Buchproduktion ist, soweit ich sehen kann, die einzige Branche, bei der – um im Bild zu bleiben – ein Hamburger genausoviel kostet wie ein Tournedos und eine Portion Pommes frites soviel wie eine getrüffelte Pastete. Wohin wir auch blicken, ob es sich um Kleider handelt, Schmuck, Porzellan, Möbel, überall ist erstklassige Qualität teurer als der Schund, nur bei den Büchern nicht. Das ist höchst sonderbar, um nicht zu sagen abergläubisch. / FAZ 9.11.02
Außerdem sollte jedes Land, wie bisher Restaurantführer, jährliche Literaturführer herausbringen, „von strengen, unabhängigen, gefürchteten Testern*) verfaßt“, um für den orientierungslosen Leser „die Spreu vom Weizen zu trennen“. Brave new world of poetry!
*) Bewerbungen an das FAZ-Feuilleton
Den Beginn einer monumentalen Geschichte der chinesischen Literatur feiert die FAZ am 9.11.02:
Kubin (Hrsg.), Wolfgang
„Geschichte der chinesischen Literatur in 9 Bänden“
Band 1: Die chinesische Dichtkunst. Von den Anfängen bis zum Ende der Kaiserzeit
K. G. Saur Verlag, München 2002, ISBN 3598245416 – Gebunden, 441 Seiten, 128,00 EUR
Aus dem Klappentext (dank Perlentaucher (das Buch habe ich /leider/ noch nicht gesehen!):
Band 1 ist der chinesischen Dichtkunst gewidmet. Diese gehört mit ihrer weit ins erste vorchristliche Jahrtausend zurückreichenden Geschichte zu den höchsten Leistungen des menschlichen Geistes und hat in allen Kulturen ihren Einfluß hinterlassen. Hervorzuheben sind insbesondere das „Buch der Lieder“, die „Lieder des Südens“, die klassische Lyrik der Tang-Zeit mit ihrem bekanntesten Vertreter Li Bai (701-762) sowie das klassische Lied der Song-Zeit (10. bis 13. Jhd.).
Ralph Freedman: Rainer Maria Rilke. Der Meister. 1906–1926. Aus dem Amerikanischen von Curdin Ebneter. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2002, 520 S., 16 S. Bildtafeln, Fr. 59.–.
/ Landbote 9.11.02
Frankfurter Anthologie der FAZ (9.11.02): Peter Huchel, Späte Zeit (Jürgen Busche).
… Manger, who was, as the editor and translator point out, a „modernist folk bard.“ His work is suffused with influences from European literature; he retells stories from the Bible, setting them in the contemporary world. He wrote verse that chills with its sense of ominous consequence for lost innocence:
An infected wind weeps in our garden;
Before our house, a scarlet lantern glows;
Death’s silver razors play, like fiddle bows,
White music on the throats of pious calves.
/ NYT 9.11. 2002
In den Tagen nach dem 11. September sagte der Dichter Gunter [sic!] Kunert im deutschen Fernsehen, er wolle um Gottes Willen nichts gegen seine türkischen Mitbürger sagen. Doch leider hätten sie nun einmal ein anderes Verhältnis zur Gewalt. „Wenn sie einem Katholiken sagen: ,Geh hin und töte den da!‘, dann wird er das nicht tun. Ein Muslim tut es.“
Der einstige Dissident der DDR, dem die deutsche Literatur einige feinsinnige politische Verse verdankt, begründete seine Warnung vor den Muslimen damit, dass der Islam das Töten nicht verbiete. Insofern stecke natürlich in jedem Türken in Deutschland ein möglicher Mörder oder Terrorist, das könne wegen seiner Religion jederzeit ausbrechen.
Schreibt der Autor und konstatiert ein Jahr später (vielleicht auch etwas pauschal?) eben eine „grassierende Islamfeindlichkeit europäischer Intellektueller“ von Merkur/ FAZ/ taz/ Perlentaucher etc. bis Fallaci./ FR 8.11.02
Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen, Publizist und Islamwissenschaftler,ist Long Term Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Im Jahr 2000 erhielt er den Ernst-Bloch-Förderpreis der Stadt Ludwigshafen. Navid Kermani hat die iranische und deutsche Staatsbürgerschaft und lebt in Köln.
(Informationen von der Homepage des Ammann-Verlages Zürich, wo ein Buch von Kermani über Neil Young erschien.) – Aus einer Rezension:
»Dieser fremde, fast behaviouristische Blick auf das ansonsten enorm Vertraute, die ständige Verschlingung von Geisteswissenschaft (hier eine um das Spezialgebiet persische Lyrik und Mystik erweiterte Literaturwissenschaft) und den intimen, viszeralen Nöten eines Kleinkinds und seiner Familie ergibt diese ganz besondere intellektuelle Beschreibungsschönheit.« ( Diedrich Diederichsen, Der Tagesspiegel )
Navid Kermani
Das Buch der von Neil Young Getöteten
MERIDIANE 39
176 Seiten, Leinen mit Lesebändchen
EUR 17.90 / CHF 30.90
ISBN 3250600393
Noch ein Termin für Neil-Young-Fans:
Am 29. November beginnt auf der Grossen Bühne der Volksbühne um 22.30 Uhr die „Nacht der von Neil Young Getöteten“. Schauspieler lesen aus dem „Buch der von Neil Young Getöteten“ von Navid Kermani und singen (!) Lieder des kanadischen Rockpoeten.
Bretons Wohnung war eine Art innenarchitektonische Umsetzung der Poetik des objet trouvé, des aufgelesenen, kruden und aus seiner Gebrauchsfunktion entlassenen Gegenstandes, an dem sich die Phantasie um so heftiger entzündet, je weniger man ihm seine Herkunft ansah. Diese Poetik des Fundes war ebenso Teil der surrealistischen Ästhetik wie die écriture automatique oder die absurden Definitionsspiele, mit denen die Surrealisten das rationale, selektive Zweckdenken außer Kraft setzen wollten. Und jetzt soll nach den nüchtern selektiven Regeln des Kunstmarktes alles von Breton unter den Hammer kommen: Nicht als Gesamtkunstwerk, sondern einzeln, zerstreut in alle Winde, was viele der Stücke ihres Sinns berauben wird: Hmm, lassen Sie mal sehen, für den Miró geb ich Ihnen eine Million, aber lassen Sie mich mit dem mikronesischen Schnickschnack in Ruhe… / SZ 8.11.02
Ein Artikel der Süddeutschen präsentiert den 20jährigen Kanonier Rudolf Augstein als Lyriker und Verschwörer (8.11.02):
„O Gott, ich habe das Große gewollt, / Ich wollte den Himmel offenbaren…“ Kein gemeiner Soldat, sondern ein Dichter wollte er werden, und Expressionismus lag damals in der Luft. Der hoffnungsvolle Lyriker kehrte zurück nach Deutschland, wo ihm die Lizenz für den späteren Spiegel zufiel.
Die gute alte (von den Modernisten geschmähte) Anthologie „Palgrave´s golden treasury“ ist wieder da – erweitert bis in die Gegenwart,
showing how Palgrave poetry survived the earthquake of Modernism and continued to thrive up to our own time. / Adam Kirsch, Slate 7.11.02.
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