Herwegh und Heine

Zum 150. Todestag des Dichters Georg Herwegh ein Zwiegespräch in Gedichten zwischen Heinrich Heine und Georg Herwegh

Herwegh, geboren 1817 in Stuttgart, war einer der bedeutendsten politischen Dichter des Vormärz. Mit seiner radikalen Haltung, seiner kämpferischen Lyrik und seinem Engagement für Freiheit und Demokratie wurde er zu einer Symbolfigur der literarischen Opposition gegen die restaurative Politik des Deutschen Bundes.

Herwegh wurde vor allem durch seine „Gedichte eines Lebendigen“ (1841) bekannt, eine Sammlung aufrührerischer Verse, die schnell verboten, aber heimlich verbreitet wurden und eine enorme Wirkung entfalteten. Seine Verse trafen den Nerv der Zeit und machten ihn zur Stimme einer rebellischen Generation. Die Hoffnung auf einen politischen Wandel führte ihn 1848 an der Spitze einer Freischärlertruppe in die Badische Revolution – ein Unterfangen, das jedoch scheiterte.

Das Verhältnis zwischen Georg Herwegh und Heinrich Heine war von Bewunderung, Rivalität und ideologischen Spannungen geprägt. Herwegh verehrte Heine zunächst als literarisches Vorbild. Heine hingegen begegnete dem jungen Dichter mit Skepsis. Zwar erkannte er Herweghs Talent und nannte ihn halb ironisch eine „Eiserne Lerche“ (in Anspielung auf seine martialisch-politische Lyrik), war jedoch kritisch gegenüber Herweghs Pathos und dessen mangelnder Ironie – etwas, das Heine selbst meisterhaft beherrschte.

Heine war politisch klarsichtiger, skeptischer und viel stärker auf Ambivalenzen bedacht als der idealistisch-republikanisch gesinnte Herwegh. Die beiden standen exemplarisch für zwei unterschiedliche Arten politischer Dichtung im 19. Jahrhundert: Heine als ironisch-doppelbödiger Beobachter, Herwegh als kämpferischer Agitator.

Georg Herweghs Gedicht „Heinrich Heine“ (1844) ist eine Hommage an den berühmten Dichterkollegen – aber auch ein poetischer Spiegel ihrer ambivalenten Beziehung. Herwegh lobt Heine als scharfen, geistreichen Kritiker und feinsinnigen Künstler, doch der Ton ist zugleich distanziert und ironisch.

Heinrich Heine 

(* 13. Dezember 1797 in Düsseldorf; † 17. Februar 1856 in Paris)

An Georg Herwegh

Herwegh, du eiserne Lerche,
Mit klirrendem Jubel steigst du empor
Zum heilgen Sonnenlichte!
Ward wirklich der Winter zu nichte?
Steht wirklich Deutschland im Frühlingsflor?

Herwegh, du eiserne Lerche,
Weil du so himmelhoch dich schwingst,
Hast du die Erde aus dem Gesichte
Verloren – Nur in deinem Gedichte
Lebt jener Lenz den du besingst.

Georg Herwegh 

(* 31. Mai 1817 in Stuttgart; † 7. April 1875 in Lichtental)

Heinrich Heine

1863

I

Mit uns allen geht es ex;
»Trägst du noch so hoch den Scheitel«,
Spricht ein alter Versifex.
»Unter der Sonn ist alles eitel.«

Brutus, Cassius sind ex,
Die es einst so toll getrieben,
Und ich hab an meinen Rex
Keine Briefe mehr geschrieben.

Mit dem stolzen Flug ist's ex,
Aus ist's mit den Sturmgesängen;
An dem Leim des goldnen Drecks
Bleiben jetzt die Spatzen hängen.

Einer nach dem andern schleicht
Sich vom Tanze – die Poeten
Werden klug – man kann so leicht
Einen Fuß sich übertreten.

Pauken und Trompetenschall
Ist verstummt; nur leise, leise
Klingt es noch – der Karneval
Geht zu Ende – glückliche Reise!

Wär's nur mit der vollen Kraft,
Wär's nur mit den vollen Gluten,
Mit der vollen Leidenschaft,
Daß man taucht in Lethes Fluten!

Doch das Leben kühlt uns ab,
Langsam, eh wir drunten liegen,
Daß wir nicht im feuchten Grab
Noch einmal den Schnupfen kriegen.

II

Deine Schuhe drücken dich,
Und du schaust nach höhern Sternen,
Schauest höher noch als ich
In die nebelgrausten Fernen.

Und du sprichst: »Mein Auge hängt
Nicht mehr an der Erde Brüsten,
Höher als die Milchstraß drängt
Mich ein heimatlich Gelüsten.

Von dem Meere stammt sie her,
Und das Meer hat viele Klippen;
Bitter, bitter wie das Meer
Schmecken Aphrodites Lippen.

Hab die Erdenschönheit satt,
Auch die Frau im Marmelsteine,
Ach! die keine Arme hat,
Mir zu helfen!« – Lieber Heine,

Sing und stirb! Unsterblich wacht
Doch die arme Dichterseele;
Mitten durch die Todesnacht
Schluchzt ihr Lied die Philomele.

Sing und stirb! und fluche nicht
Dieser Erde Rosenlauben!
Teurer Dichter, suche nicht
Trost in einem Seehundsglauben!

Sing und stirb! Wir sorgen schon,
Daß kein Atta Troll dir schade;
Schwebe hin, Anakreon,
Zu der Seligen Gestade!

Rasch vorbei am Höllensumpf!
Hör nicht das Koax! und trage
Deine Lieder im Triumph
In des Pluto Dichterwaage!

Grüß den Aristophanes
Dort auf Asphodeloswiesen;
Ich hier oben will indes
Deinen Lorbeer fromm begießen.

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