Als Dubček weinte

Heute wäre der Theater- und Opernregisseur und Schriftsteller Adolf Dresen 90 Jahre. Er schrieb ein Gedicht über das Sterben – „ich bin noch nicht neunzig“, aber er wurde nicht einmal 70. Zum Anlass habe ich ein Gedicht aus unserer politischen Vorgeschichte, die für die Älteren Gegenwart war, ausgewählt.

Adolf Dresen

(* 31. März 1935 in Eggesin; † 11. Juli 2001 in Leipzig)

Dubček

Nach einem Traum vom Januar bis Juli
Applaus, immer höher die Woge
Stand plötzlich vor der Tür die glatte Unwirklichkeit
Irrealität von Panzertürmen

Ohne daß etwas Besonderes passiert wäre
Wie z. B. Einfallen des Himmels
Wurde er weggeschleppt aus seinem Präsidium
Geprügelt in polnischen Scheunen
In ein Loch geworfen vielleicht der Ukraine
Dann anscheinend vergessen
Vergessen auch vergessen zu erhängen
An einer Drahtschlinge wie Imre Nagy

Vorgeführt plötzlich im Zentrum, Zitadelle der Welt
Mittelpunkt seines Herzens, dem Kreml
Wo er endlich ankam und etwas ganz Unsinniges tat
Weinte

Aus: Poesiealbum 332. Adolf Dresen. Wilhelmshorst: Märkischer Verlag, 2017, S. 5

Alexander Dubček wurde in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 zusammen mit anderen führenden Reformpolitikern von den sowjetischen Truppen verhaftet und nach Moskau gebracht. Dort hielt man ihn mehrere Tage lang unter schwerem psychologischen Druck.

Vom 23. bis 26. August 1968 musste er an den sogenannten Moskauer Verhandlungen teilnehmen. In diesen Verhandlungen zwangen die sowjetischen Führer ihn und seine Kollegen zur Unterzeichnung des “Moskauer Protokolls”. Dieses Protokoll bedeutete das faktische Ende der Reformbewegung des Prager Frühlings. Dubček war in Moskau sowohl Drohungen als auch massivem psychischen Druck ausgesetzt. Es gibt Berichte, dass er nach den Verhandlungen körperlich erschöpft und gebrochen wirkte.

Am 27. August 1968 kehrte Dubček nach Prag zurück und hielt noch am selben Tag eine emotional aufgeladene Radioansprache, in der er mit gebrochener Stimme sprach – ein Zeichen für den enormen Druck, unter dem er stand. Zwar blieb er offiziell noch einige Monate im Amt, doch seine Autorität war stark geschwächt, und im April 1969 wurde er endgültig entmachtet.

August 1968 auf tschechischen Straßen

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