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Hồ Xuân Hương (Hán tự: 胡春香; * 1772; † 1822) war eine vietnamesische Dichterin. Sie wurde zum Ende der Späteren Lê-Dynastie geboren, erlebte den Aufstieg und den Fall der Tây Sơn-Dynastie und starb zum Anfang der Nguyễn-Dynastie. Sie schrieb ihre Gedichte in chữ Nôm*, wird oft als die größte Dichterin Vietnams bezeichnet. (…) Die Inhalte und Gedanken ihrer Gedichte waren ebenfalls sehr stark umstritten, dementsprechend auch das Urteil. Dennoch war es unbestritten, dass sie in Form und Kunstfertigkeit einen bis dahin unerreichten Gipfel der vietnamesischen Literatur schuf. Der zeitgenössische vietnamesische Dichter Xuân Diệu bezeichnet sie als „Königin der chữ Nôm-Dichtung“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hồ_Xuân_Hương
*) Das klassische Schriftsystem der vietnamesischen Sprache, bei dem chinesische Schriftzeichen rein phonetisch benutzt werden, um die vietnamesischen Laute wiederzugeben. Es wurde seit dem 15. Jahrhundert benutzt. Im 19. Jahrhundert entstand ein vietnamesisches Alphabet auf Basis des lateinischen – heute können nur wenige Vietnamesen Nom lesen.
Ho Xuan-Huong
(1772-1822)
Loblied auf ein lediges schwangeres Mädchen
Zu weich war ich,
nun finde ich mich in solch heikler Lage.
Schmerzlich ist mein Mißgeschick,
weißt Du es, Geliebter?
Unsere vom Himmel bestimmte Zweisamkeit
hat noch keinen hochragenden Kopf.
Mein Mädchenschicksal,
schon nimmt es horizontale Ausmaße an.
Diese Schuld
trägst Du Geliebter, hundert Jahre lang.
Die Frucht unserer Liebe
trage ich dennoch mit Freuden.
Böser Klatsch und Häme der Welt
lassen mich ungerührt.
Ist es doch gut, ein Kind zu erwarten,
selbst ohne vermählt zu sein.
In Vietnam wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach konfuzianischem Gesetz eine unverheiratete Schwangere als kriminell angesehen und zur Todesstrafe (für Mutter und Kind) verurteilt.
Hier verteidigt die Dichterin offenkundig ledige Mütter und verdammt entschieden die scheinheiligen und barbarischen Gesetze der Männerherrschaft ihrer Zeit.
Gedicht und Kommentar aus: Tien Huu (Hrsg.): Augen lachen, Lippen blühen. Erotische Lyrik aus Vietnam. München: Simon & Magiera, 1985, S. 33. (Obwohl der Name der Autorin nicht im Titel der deutschen Ausgabe auftaucht, handelt es sich um eine Auswahl der Gedichte von Ho Xuan-Huong.)
Aus dem Nachwort des Herausgebers:
„In der Sozialgeschichte und Literatur Vietnams nimmt die Dichterin Ho Xuan-Huong (ca. 1772-1822) wahrhaft einen großen revolutionären Rang ein und gilt als eine bahnbrechende Heldin des Volkes im Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen und der Schwachen, der Armen und Ausgebeuteten in der damaligen Zeit. (…)
Fast alle ihre Gedichte beziehen sich unmittelbar oder in Anspielungen auf das Geschlechtliche, die Körperteile und Organe oder den geschlechtlichen Akt. Alles, was die scheinheilige, dekadent konfuzianistische DAO NHO im damaligen Vietnam unter frömmelndem, moralistischem Deckmantel streng verbarg und als unmoralisch, blasphemisch, königsfeindlich, ordnungsstörend, gesellschaftsschädlich, literarisch unwürdig… bezeichnete, wurde von ihr mit Sorgfalt und Hingabe öffentlich gepriesen und in großer Dichtkunst und mit feinem, hintergründigem Humor besungen. Und all dies zu einer Zeit, in der nur die sog. „Tugendtragende Literatur“ (van tai-dao) erlaubt war, d.h. Preisung der absoluten Königstreue, des blinden Gehorsams, Verherrlichung der Männer und eines naturwidrigen keuschen Witwentums.“
Mit antiautoritärem Mut verfocht Ho Xuan-Huong als erste Frau der gehobenen Gesellschaftsschicht (sie war Nebenfrau eines Distriktchefs) leidenschaftlich freiheitliche Ideen und die Emanzipation der Frauen – noch ehe etwa George Sand (1804-1876) oder Félicien Rops (1833-1898) am europäichen Himmel aufstiegen.“

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