36. Grab in der Heimat

(…) Was wir heute in der Ukraine erleben, meint [der tschetschenische Dichter Apti] Bisultanow, habe mit dem Überfall auf seine Heimat seinen Anfang genommen. Eine Auffassung, die Bisultanows russischer Kollege, der Schriftsteller Sergej Lebedew, teilt:

„Wenn wir über das heutige Russland reden, dann kann man sagen, dass dieses Russland 1994 im ersten Tschetschenien-Krieg geboren wurde. Denn damals entschied sich die Frage: Wird Russland ein demokratisches Gemeinwesen? Oder wird Russland wieder ein imperialer Staat, der alle anderen Gesellschaftsmodelle unterdrückt, die möglich sind.“ (…)

Aptil Bisultanow, der tschetschenische Dichter, schrieb dazu in einem seiner Gedichte die Zeilen: „Ich lebe in einem Staat mit dem Namen Heimat / Seine Verfassung ist ein einziger Satz / Jeder Bürger hat das Recht auf ein Grab in der Heimat.“ Nicht nur für ihn, auch für seinen Schriftstellerkollegen Sergej Lebedew haben die inzwischen fast vergessenen Ereignisse des ersten Tschetschenienkrieges unheilvolle Spuren bis in die Gegenwart hinterlassen.

„Dieser Krieg hat die Moral der russischen Armee stark verändert. Wie sehr, das wird erst heute angesichts des Krieges in der Ukraine klar. In dem man den Terror und die gesetzwidrigen Aktionen der Armee in Tschetschenien nicht ahndete, gab man ihr das Signal, dass zur Durchsetzung russischer Interessen alles erlaubt ist. Die heutige Armee betrachtet ihren Einsatz in der Ukraine genau unter diesem Blickwinkel – wir dürfen alles, auch wenn es sich um Befehle handelt, die nicht legal sind.“ / Mirko Schwanitz, DLF

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