3. Hans Keilson

Hans Keilsons Tagebuch hat sich erst im Nachlass des 2011 im Alter von fast 102 Jahren gestorbenen Dichters und Psychoanalytikers gefunden. Seine Witwe Marita Keilson gibt es jetzt heraus. Es handelt sich um ein vollkommen einzigartiges Dokument. Denn es beschreibt nicht nur den Alltag eines Gejagten, der immer wieder Todesangst auszustehen hat. Es bildet auch die Gewissenserforschung eines Schriftstellers ab, der noch im Werden ist (seit seinem literarischen Debüt kurz vor Toresschluss, Januar 1933, im Verlag von S. Fischer hat er nur vereinzelte Gedichte publiziert). (…)

Mit der dialektischen Volte, das „Sicherheitsgefühl des Unsicheren“ zu bejahen, sieht er sich jetzt eher als einer, der „sein Sach‘ auf nichts gestellt“ hat und legt sich selber folgendermaßen fest: „Ich weiß, dass ich ein Dichter bin und ein Schlemihl – aber mein Ziel ist Arzt.“

Hans Keilson hat sicher im Dezember 1944 noch nicht geahnt, wie weit der Weg zu diesem Ziel noch sein würde. Wie lange es überhaupt dauern würde, bis er im Leben seinen Platz zu finden vermochte. Seinen medizinischen Doktortitel erwarb er erst als Siebzigjähriger. Als Schriftsteller setzte er sich – dank der Einrichtung der „Schwarzen Reihe“ im S. Fischer Verlag, die sich den Vertriebenen und Verfemten des Dritten Reiches widmete – im Grunde erst als Achtzigjähriger durch. Die großen Ehrungen und Preise (darunter auch der „Welt“-Literaturpreis) erhielt er dann als Neunzigjähriger. Der Weltruhm kam, als er hundert geworden war. / Tilmann Krause, Die Welt

Hans Keilson: Tagebuch 1944. Herausgegeben von Marita Keilson. S. Fischer, Frankfurt/M. 256 S., 18, 99 €.

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