33. Melvilles Lyrik

Zu den merkwürdigsten Phänomenen der amerikanischen Literatur zählt das Spätwerk Herman Melvilles. Nach den finanziellen Misserfolgen seiner heute berühmten, damals jedoch weitgehend verschmähten Romane war Melville gezwungen, einen schlechtbezahlten Posten als Zollinspektor im New Yorker Hafen anzunehmen. Er wandte sich nun verstärkt der lyrischen Gattung zu und veröffentlichte auf eigene Kosten die «Battle Pieces and Aspects of War» (1866), das gewaltige Versepos «Clarel» (1876) und schliesslich nur für seine Freunde in Kleinstauflagen von jeweils 25 Exemplaren «John Marr and Other Sailors» (1888) und «Timoleon, Etc.» (1891). Trotz dem auflebenden Interesse eines kleinen Kreises englischer Literaten in den 1880er Jahren war Melville im vollkommenen literarischen Abseits angelangt, ein Umstand, der sich allerdings nur in der Quantität, nicht in der Qualität seines Werkes niederschlägt.

Mit Anmerkungen und einem instruktiven Nachwort versehen, liegt «John Marr und andere Matrosen» nun erstmals in einer integralen Übersetzung durch den Melville-Spezialisten Alexander Pechmann vor. So schmal der Umfang mit nicht mehr als neunzehn Gedichten ist, so gewichtig der Inhalt, weshalb Melvilles lyrisches Œuvre den Arbeiten seiner grossen und in dieser Hinsicht produktiveren Zeitgenossen Walt Whitman und Emily Dickinson getrost an die Seite gestellt werden darf. / Jürgen Brôcan, NZZ 3.4.

Herman Melville: John Marr und andere Matrosen. Aus dem Amerikanischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann. Mareverlag, Hamburg 2013. 184 S., Fr. 34.50.

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