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Voß will hoch hinaus und geht dafür tief hinab: Dante selbst führt, wie einst Vergil den großen Dichter, durch ein Szenario der Vorhölle oder Apokalypse, die hauptsächlich in Berlin-Kreuzberg/Neukölln angesiedelt ist (mit Ausflügen nach Kassel und Schöneweide). doch damit nicht genug, Metaphern jagen sich, kraftstrotzende Ausdrücke (die Wörter Gammastrahlung, Ziegenstiefel, Knaster, Mugge, Heliumwind, Bunker, Bomben, Wolfsquinte etc. finden sich allein auf der ersten Seite) überhäufen den Leser, der sich in einem Panorama wiederfindet, das wohl an mittelalterliche Höllenbilder gemahnen soll.
sein titelgebender Zyklus ist in der Tat ausgeflippt: eins der schrillsten Lyrikkapitel der letzten Jahre. dabei handelt es sich um eine recht beherrschte Durchgeknalltheit, um nicht zu sagen fast gemütliche. mit den Worten aus einem seiner älteren Werke: eine Odyssee im Ohrensessel. der mit Sündern, Hitler, Lenin und Totensäcken, sowie Engeln, Käfern und Teufelsautos gespickte Limbus ist auch in der Form eher konventionell. bis auf pathetisierende, meist an die Bibelsprache angelehnten Formeln und einige Reime, haben wir es mit einer deskriptiven Erzählhaltung zu tun. so schlurft Voß behäbig an all den Aussätzigen und krebsgeschwürigen Engeln vorbei, in Flipflops eben. das Kaputte, scheint er uns sagen zu wollen, ist nur da draußen. gerade diese Beobachtungshaltung, die implizite Behauptung, dass es sich nicht um traumatische Albvisionen, hieronymus’sche Versuchungen, um Kämpfe mit inneren Dämonen handelt, sondern um ein Sittengemälde, gibt dem Ganzen einen eigentümlich verschleppten Tonfall.
(…)
der Dichter Voß hat sich in diesem Band gefunden. seine Gedichte sind verschnürt zu vier kohärenten Kapiteln, die jede eine mögliche seiner Tonlagen widerspiegeln. die Sprache des Bandes ist üppig, allerdings ein bißchen schrebergärtnig arrangiert. neue Erkenntnisse wird man ebenso wenig finden wie diffizile Operationen am Wort, dafür vor allem gegen Ende sehr stimmige Atmosphären und Todesreflexionen. im Grunde, bei allen Ausflügen in den Irrwitz und die Expressivität, ist Florian Voß ein zu alt gewordener Barockdichter, der die Vanitasklage anstimmt, aber mit einer alten Gitarre vom Flohmarkt – und so, als säße man dabei in einer dieser Kreuzberger Bars mit rotem Brokat, verschnörkelten Spiegeln und ausgestopften Monstern. / Hendrik Jackson, Fixpoetry
Florian Voß
In Flip-Flops nach Armageddon
Verlagshaus J. Frank
2013 · 100 Seiten · 13,90 Euro
ISBN: 978-3-940249-78-4
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