72. literaturlabor in der Lettrétage: Zuß und Ames suchen Streit / III. Teil

Zuß und Ames suchen Streit und begegnen sich in Berlin; in der Art in der ein Freistoßschütze dem Torwart begegnet; wer wer ist, ist egal, weil es wechselt. Es geht um Kollegialität, um Polemik, Poetik, um zwölf coole Arbeiter im Lyrikstandort Berlin, um Unzufriedenheit und andere Beweggründe und „Konsonanz ist nur ein Teil künstlerischen Schaffens; Dissonanz, Digression und Überraschung die anderen. Wir beobachten hier das Verfahren der Anreicherung neben forcierter Flapsigkeit […] und harte Zäsuren und weite Sprünge neben zarten Zoten.“
(Konstantin Ames: sTiL.e(ins) Art und Weltwaisen. S. 6f.)

Quelle

III. Teil – Die Kommunikation der Literatur: Am Kotti

Leutnant Zuß und Hilfsinspektor Ames, vom anonymen Polizeipräsidenten dazu verdonnert, verdächtige Kommunikation zuzuführen und notfalls zu literarisieren, stehen wartend am Kotti rum und schauen den falben safrangelben Untergrundbahnen bei Einfahrt zu und Ausfahrt. Stellen sich vor, wie schön es wäre, zur gleichen Zeit inmitten von halb Trier vor dem Karl-Marx-Haus zu stehen, um den Getreidedaddy auszutreiben, gleichwie seine Unterteufelinnen. Schad finden sie es wohl, dass das nicht geht – und leider auch ein bisschen geil. Als gäb’s keine weiblichen Dandys mehr! Die Heiterkeit will Zuß schon ergreifen – Dichtung gibt’s bald ja nur noch für Freunde der Popmusik und des Wunderkindischen – da der Geist der Angst vor der Geistlosigkeit erscheint. Plötzlich und beinah hätte Ames eine Elegie in der Kain-Manier des Michael Roes zuwege gebracht. Das wäre auch hohe Eisenbahn gewesen. Hat dann aber doch bloß ein Gedicht aus Milch verschüttet, auf das Leutnant Zuß draufweinte; das Alberne hat Glück, klar, meinetwegen, und solang es nicht bloß putzig-korrupt ist, versteh ich Spaß, sogar Spaßß.

„Für die überwiegende Mehrheit in der Bevölkerung, die Arbeiterklasse eingeschlossen, sind die politisierten Werktätigen und Studenten schlichtweg unverständlich. Darüber solltest Du nachdenken, wenn Du Dich über widerliche Avantgardesprache auslässt; oder darüber: Gewöhnliche Antikommunikation, dem Dadaismus heutzutage von den reaktionärsten Helden des Establishments entliehen, lügt, und ist wertlos in einer Ära, in der die eindringlichste Frage die danach ist, wie sich eine neue Kommunikation auf allen Betätigungsfeldern, den simplen wie den komplexen, erschaffen lässt. […] Lies Rimbauds letzte Gedichte. Sie sind so heftig halluzinatorisch, so zerbrechlich, der Klang eines Geistes, der am Ende seiner Kräfte ist und gerade zerfällt; so klingt die Rückkehr zur kapitalistischen Tagesordnung nach der empörten Auflehnung; […] der Klang desjenigen, der verdammt noch mal! den Kältetod stirbt.“ (Rimbaudbrief; in: Schreibheft 79, S. 142; Sean Bonney, Letter on Poetics, in: Happiness – Poems after Rimbaud, London: Unkant Publishing 2011.)

Die erste Kommunikation entsteigt der Untergrundbahn am Kotti. Zuß wollte einen Hymnus anstimmen, statt sie zuzuführen und notfalls zu literarisieren. Sagt mir: Wie viele misanthropische Karrieristen mit einem Faible für Kirschblüteneskapismus haben sich in Eurem Bezirk eigentlich aufgereiht?

„Jegliche Poesie, die nicht Zeugnis von der grundsätzlichen Fehlbarkeit etablierter (Lebens-)Formen gibt, ist mangelhaft. Prosodie versteht sich via Taktiken des Schwarzen Blocks.* [*Archaischer Bezug; wird nicht erläutert.] Bisher hat niemand eine Sprache gesprochen, die nicht die Sprache derjenigen ist, die Fakten begründen, ermächtigen und eben davon profitieren. Sprache ist konservativ. Ihr Konservatismus entspringt (a) ihrem utilitaristischen Zweck und (b) der Tatsache, dass das personale Gedächtnis, wie auch das der Menschheit, verkürzt ist.“ (Abschaum Dissen, in: Schreibheft 79, S. 136; Sean Bonney, Filth Screed, in: Blade Pitch Control Unit. Cambridge: Salt Publishing 2005.)

Ames hat sein zwischen Hai und Eichhörnchen siedelndes Grinsen gegrinst. Ames liebt nicht den Stern der Bürokraten und Korruptniks. Don’t be strangers! Wie schön der Morgenstern leuchtet!

Die Reihe „Zuß und Ames suchen Streit“ ist eine e-Polemik und Bestandteil des literaturlabors in der Lettrétage, gefördert vom Berliner Senat. Das Lettretagebuch ist hierbei als eine Art Fortsetzung des Raumes “Literaturhaus” mit digitalen Mitteln zu verstehen. Wir schließen auf, stellen die Biere kalt und sprechen offen miteinander. Beiträge herzlich willkommen!

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