29. Over the top

Florian Voß: Also der erste Teil, der titelgebende ZyklusIn Flip-Flops nach Armageddon, ist ja letztendlich eine Travestie, das ist Grand Guignol als Lyrikzyklus, das hat zwar auch seine gesellschaftlichen Elemente, und durch die Sprecherhaltung wird da auch Position bezogen. Aber letztendlich ist es schon auch eine Beschreibung der Welt, wie sie jetzt verfasst ist, als eine Art Totentanz, aber als modernes „Mittelalterliches Fastnachtspiel“, das ist schon so… so in die Vollen gehend. Das hat ja ganz, naja, wie soll ich es nennen, mager angefangen, als ganz normale – naja, was ist normal – als gut durchgearbeitete Gedichte, eine Handvoll am Anfang, und die hab ich Kollegen vorgestellt, und dann war klar: das ist gut, aber irgendwie klappt es noch nicht so ganz, und dann hab ich sehr lang darüber nachgedacht, was ich machen müsste, um dem etwas Besonderes zu verleihen. Und dann hab ich das einfach immer mehr angefüttert. Das ist immer fetter geworden, also das ist richtig gemästet worden. Und so sind diese Gedichte in diesem Zyklus, bis sie fast geplatzt sind vor Assoziationsfeldern, vor Metaphern, von so einem sarkastischen Witz aufgebläht. Also die Absicht war wirklich, etwas zu schreiben, was dermaßen over the top ist, dass man noch nicht mal Pathos dazu sagen kann, sondern dass das einfach …
Kristian Kühn überdreht, Comic-Pathos ist …
FV Genau.

1. (Phantomfliegerschmerzen)

Mors die Neuigkeiten! Fatales
Fatum zeig ich euch geschichtsvergrindeten
Weltwesen – Bürger hört:

Phantomfliegerschmerzen – am Morgen
brummt der Schadeschädel abendrot
Und mir traumbombte gestern Nacht
sich der Weg in den Tiefgaragenschutt frei
„Suchen sie den Schmutzraum auf“
Ich hab‘ Betonverschalung im Genick
und es nickt mit schwarzem Eisenbauch
die Bombenfratz überm Erdgetümmel
(Ich sah das durch den Bunkerschlitz)
Alle Einkaufstaschen platzen, platschen
wenn die Bettelleute in den Shelter eilen
Zukunftsgesichte ziehen durch die Augenwand

Der Heliumwind der Sonne brach sich
am Nachmittag – Äther, Äther, Sphärenschichten
und jetzt Mugge: da rasselt Gott die Schellen
und die Trompetten schallen eine Wolfsquinte
Es leuchtete der Norden – O, gute Gammastrahlung
Mücken, Fliegen, Kleingetier – Summsumm
ihr Meister pulte sich den Dreck vom Ziegenstiefel
Meine Augen sahen scharf das ultrahelle Violett
des Himmelsknasters, eingeknastet in dem All
Und es wollt‘ Abend werden an der Skalitzer

 

(In Flip-Flops nach Armageddon. S. 8 f.)

Lesen Sie das komplette lange Interview, das Kristian Kühn führte, bei Signaturen

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