119. Eigenbrötler

Gute Gedichte provozieren immer erneut die Frage: Was also ist Lyrik, hier und jetzt, im Augenblick des Gedichts? Gedichte, wenn sie gut sind, entwickeln ein Eigensein, das Zuordnungsgewohnheiten sprengt, ästhetische Gewissheiten entwertet.

Die 100 Gedichte in E. A. Richters neuem Band Schreibzimmer sind solche Eigenbrötler: Sie sind ziemlich immun gegen das traditionelle Schmeichelidiom der Lyrik; kommen mit einem prosanahen Duktus zu ihrer lyrischen Qualität; beweisen, dass es auch eine poetische Schönheit des Begrifflichen gibt; Richters Gedichte sind meist nominal geballte, verbarme Intensiväußerungen.

„Mr. Indecision [in dem gleichnamigen Gedicht] liebt es, auf Parkbäumen / solipsistische Ironieschleifen / aufzuzeichnen, mit dem Argument / der Gefahrlosigkeit“, ein begrifflich dominierter Prosasatz, der seine Lyrizität erst als Teil des Gedichtganzen zeigt; auch strenge Fremdwörter können eine spezifische Melodie entwickeln und taugen mitunter fast zu Märchensprache: Immer wieder taucht (in Besuch) eine kleine Frau auf, direkt aus dem Boden, eine kleine Märchenfee, macht aus Wasser Wein oder Tee, „dreht sich im Kreis, drückt sich aus“, versprüht Tee oder Farbe oder Nebel und am Schluss „klärt [sie] ihre fluide Emergenz“, Fremdwörter als Klangkörper; „ihr Kleid ist patschnass“, alle Sprachebenen beweisen ihre Lyrikeignung. / Helmut Gollner, Literaturhaus.at

Zweitabdruck. (Die Rezension erschien erstmals in KOLIK Nr. 59

E. A. Richter: Schreibzimmer
Gedichte.
Wien: Edition Korrespondenzen, 2012.
160 S., Hardcover, fadengeheftet, mit Lesebändchen
€ 20,00
ISBN: 978-3-902113-94-8

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