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Zentral der zehnteilige Zyklus „das schwarzbuch die farbfotos“, für den Wenzel beim diesjährigen Lyrikpreis Meran ausgezeichnet wurde. Ein Album in Worten, in dem in dokumentarischer Präzision eine kleine Welt fortlebt, die über Jahrhunderte für die Region zwischen Ruhr, Lippe und Emscher prägend war.
Gute Gedichte sind – nicht prinzipiell, aber oft – auch Wortaufbewahrungsstellen, und so finden sich im „schwarzbuch“ spezialsprachliche Begriffe wie „kaue“, „sauberjunge“, „strecke“ (waagerechter Grubenbau, der von einem anderen Grubenbau ausgeht), „grubensocken“ (auch als Pütt-Socken bekannt), die, untermischt mit Regiolekt („lorenz“ für „Mond“, „jaust“ für „Bengel“, „klümmchen“ für „Bonbon“) und Soziolekt („vadda“, „pulle“), eine Quasi-O-Ton-Qualität und -Funktion haben. Die erwähnte soziologische Genauigkeit kommt auch und vor allem da zum Tragen, wo die Texte vom Alltagsleben und von den Hobbies der Bergarbeiter handeln, dem Brieftaubensport zum Beispiel (Wenzel hat dessen Sprache recherchiert und u. a. für das IX. Gedicht des Zyklus‘ („BERGAUF“) fruchtbar gemacht.) Kein Wunder eigentlich, dass die Männer, die ihr Arbeitsleben unter Tage verbringen („schwarze ringe / um die augen um die nase eine blässe glänzend“), in ihrer Freizeit „kröpper“ und „duwen“ in den Himmel werfen, dessen „dürre lichtausbeute“ 1961 Thema einer Wahlkampfrede Willy Brandts war: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden.“ (Hinweis und Zitat finden sich in einem Glossar am Ende des Büchleins.)
/ Meinolf Reul, lyrikkritik.de
Christoph Wenzel, weg vom fenster. Gedichte. 32 Seiten, Klappenbroschur. vorsatz verlag, Dortmund 2012 (roterfadenlyrik / Edition Haus Nottbeck, Oelde). 5,00 Euro
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