Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Hans Zimmermann, Görlitz
4. Rundbrief 2012: S’ist Krieg
Liebe Freunde,
es gibt im großen indischen Epos über den Kampf der Pândavas gegen ihre Vettern, die Kauravas, um den Königsthron eine kleine Szene, die so unscheinbar ist, daß sie in den üblichen literaturgeschichtlichen oder handbüchenen Zusammenfassungen der in 100.000 Doppelversen ausgebreiteten Handlung gewissermaßen unter den Tisch fällt. Ich kannte diese kleine Szene noch aus einem früheren Leben, als ich Indologie studierte, sie kam mir aber in diesen Tagen in den Sinn und ich schrieb ein kleines Gedicht, das mit dem Motiv dieser verschwindend-kleinen Szene beginnt (Nr.7 im 8-Stern-Zyklus). Aber ich wollte die Geschichte gerne genauer nachlesen. Letzten Sommer, während der Indienreise, las ich deshalb die höchst empfehlenswerte 300-Seiten-Nacherzählung des Mahâbhârata (so heißt dieses Epos), die Biren Roy 1961 (Diederichs Gelbe Reihe) veröffentlicht hat, aber da fand sich die gesuchte Szene nicht; auch nicht bei Glasenapp oder in der recht guten Wikipedia-Zusammenfassung. So besorgte ich mir vor zwei Wochen endlich antiquarisch den alten „Winternitz“, den ich im Indologiestudium gelesen hatte, und da fand ich die Stelle.
(Und nur bei Winternitz S.269 und nicht eben bei Biren Roy oder Glasenapp steht übrigens auch die skurrile Begründung für die edle Blässe des „Bleichgesichts“=Pându, dessen fünf Söhne die Pândavas sind, sowie für die Blindheit von dessen Bruder Dhrtarâshtra, dem Vater der 100 Kauravas.)
Diese 60 Seiten aus der „Geschichte der indischen Litteratur“ von Moritz Winternitz habe ich also nun ins Netz gestellt, mit einem verlinkten Inhaltsverzeichnis vorweg, mit allen Anmerkungen und Seitenzahlen, färbte alle Sanskrit-Namen und -Begriffe (wie bei mir üblich) blau ein, nun, da steht’s: http://12koerbe.de/hanumans/mbharata.htm
Die innerhalb des komplexen Getümmels so „verlorene“ Szene?, ach ja: Der Kampf endet nicht mit Sonnenuntergang, wie üblich und vereinbart (und es ist ja alles, jeder Kampf: wer wie wann gegen wen und wer wie wann gegen wen nicht, wie ein Spiel in ritterliche Regeln gefaßt und „vereinbart“!), sondern tobt in wahnsinniger Verletzung all dieser Regeln bis tief in die Nacht hinein und lebt nach kurzen Erschöpfungspausen (die ich beim Schreiben meines Gedichts, d.h. bevor ichs bei Winternitz wiederlas, vergessen hatte) noch vor der Morgendämmerung wieder in aller Heftigkeit auf, und da nun geschieht das, was mich so beeindruckt hat: Die Sonne geht auf — und alle unterbrechen für einige Minuten das große Morden, um die Sonne im Gebet zu verehren.
Die wesentlichen Schlüsselszenen der Handlungsfolgen in der Haupterzählung des riesigen Epos sind natürlich andere: Wie kommt es überhaupt zum „großen“ (maha) Krieg der „Bharatas“? Durch ein Würfelspiel zwischen den königlichen Vettern, das die Pândavas verlieren: Sie haben nacheinander alles eingesetzt, auch ihr Königreich, schließlich sich selbst und dann noch die allen fünfen gemeinsame (!) Gattin Draupadî, aber das wollt ihr bestimmt sofort selber nachlesen,
grusz, hansz
Neueste Kommentare