7. Gierstabil

Es geht Katharina Schultens ganz offen­kundig nicht mehr um die Entbindung des romantischen Zauberworts, sondern um die kühle Beobachtung von Strukturen. „Das künstle­rische Material muss kalt gehalten werden“, hat einst Gottfried Benn dekretiert. Katharina Schul­tens hat diese Devise beher­zigt. Wir lesen die Gedichte einer Autorin, die ihrem Gedicht­band demon­strativ den Titel „gierstabil“ gibt – und damit auf einen Ter­minus aus der Kinematik und Fahrzeugtechnik zurückgreift, der bestimmte Steue­rungs­ten­denzen diver­ser Land- und Luft-Fahrzeuge bezeichnet. Und natürlich schwingt in dem rein technischen Begriff „gierstabil“ auch noch die assoziation zu „gier“ und damit die Konnotation eines heftigen emotionellen Geschehens mit. Aber just diese Verbin­dung von multiplen technoiden Strukturen und Körper­elementen, von physikalisch-bio­mechani­schen Modi und traditionellen Natur- und Nähe-Metaphern gehört zu den Eigen­heiten von Katharina Schultens‘ Dichtkunst. Ihr Debütband „Auf­brüche“ hatte 2004 noch auf die Mobili­sierung einer expres­sionis­tischen Sprache und die Evokation einer traditionellen Stimmungs­lyrik vertraut. In „gierstabil“ kommt nun ein ganz anderes Ich zu Wort, ein un-senti­menta­les, analytisch beobach­tendes, ganz in die prozess­haften Abläufe und technisch-wis­sen­schaft­lichen Komple­xitäten unserer Gegenwart vertieftes und sachlich regis­trie­rendes Ich. / Michael Braun, Poetenladen

Es gibt viele Momente, in denen genau dieses Dazwischen die eigentliche Vielfalt von »gierstabil« darstellt. Zeilen wie: »ich wispere ach / wissen sie – vielleicht bin ich das innere / des aktenschranks wenn er schließt« sind reflektiert und eingängig, intelligent und ästhetisch wertvoll. Der exzessive Gebrauch von &-Zeichen und Bindestrichen bringt den Fluß der Verse häufig ins Stocken. Das ist bei der elegant durchrhythmisierten Sprache ähnlich überflüssig wie die ironische Distanzierung vom Englischen. Diese wird als Fremdkörper hineinmontiert, tritt manchmal jedoch ein Verwirrspiel der Bedeutungen los. Und noch eine Form von übermotivierter Distanzierung zieht sich durch die Gedichte: Das »ich denkt«, »ist gewesen« und so fort. Natürlich wird ein Autor gerne mit seinen Ichs verwechselt, viel lieber vielleicht noch eine Autorin. Schultens’ Texte jedoch sprechen bereits aus sich heraus mit einer festen und faszinierenden Mehrzahl von Stimmen.

»wieso geht das nicht in unserer sprache. / wo haben die das gelassen? das: pathos?« – wo auch immer »die« das Pathos gelassen haben mögen: Man kann ihm zusehen, wie es sich neu erfindet und in die Gedichte einfügt, ohne peinlich zu sein. Manchmal sogar mit humoristischer Spitze: Im Kapitel »single in pivot«, wird von einem »er« berichtet, der »aus nächtlicher routine direkt in einen schoß« stolpert.

Schultens’ Verse bleiben haften, ohne klebrig zu sein. So oft sie auch überfordern, so oft fordern sie zum Nachdenken heraus. Diese Lyrik ist noch auf dem Weg begriffen, entwickelt sich aber unaufhörlich fort. Wie ein Fahrzeug, das sich ohne weiteres Eingreifen von außen geradeaus bewegt. Das ist ja schließlich auch die Definition des Begriffes Gierstabilität. Einen besseren Titel hätte der Band nicht haben können. / Kristoffer Cornils, junge Welt 1.9.

Katharina Schultens: gierstabil – Gedichte. Luxbooks, Wiesbaden 2011, 72 Seiten, 19,80 Euro

8 Comments on “7. Gierstabil

  1. lieber kristoffer, erst einmal vielen dank für die ausführliche auseinandersetzung mit band und die kommentare, das schätze ich sehr.

    vielleicht muß ich tatsächlich biographisches aufrufen, um zu erklären, wieso mich das (debüt-anklänge in der rezension/dann noch das rezensentenalter) so gepiekt hat. ich habe 2004 meinen ersten, sicherlich sehr naiven, band gemacht, über den zum glück nie viel gesprochen wurde – ich stand damals weitab von allem, das man unter ‚lyrikszene‘ subsumieren könnte, ich kannte niemanden, ich hatte viel zu wenig gelesen. aber auch vom netzwerkeffekt ganz abgesehen, hätte den band so auch eine nicht sonderlich reflektierte 18jährige schreiben können. trotzdem schätze ich einige der ältesten texte mehr als manches neue von mir, das ist eine andere diskussion (die mit dem tausendfüßler und der frage, wie genau er seine beine setzt, vielleicht kennt man die geschichte).

    wie auch immer, ich landete unversehens, mit meinen bis heute schlechtesten texten, die ich jemals irgendwo eingereicht habe, was mir aber leider erst einige monate später klar wurde: bei leonce und lena (auch das ist eine andere diskussion – die L&L-vorjury…). natürlich hat mich da niemand so richtig ernst genommen, ich mich nicht mal selbst. das war anfang 2005, ein halbes jahr später ging ich aus ganz anderen gründen nach berlin und tauchte zunächst als blondes anhängsel auf diversen veranstaltungen auf, großäugig und über lange strecken tonlos. das war vielleicht der fehler, ich will hier jetzt nicht weiter auf das angry-young-wo/man-versus-reh-im- scheinwerferlicht-phänomen eingehen, bzw, wie man einen solchen raum betritt, wenn man neu ist und einem etwas an der sache liegt – für die versionen seiner selbst ist man auch da allein verantwortlich, bzw, man kann die entworfenen bilder beeinflussen, wenn man den mund aufmacht. ich stakste hingegen idiotisch-bewundernden blickes herum, und immer zum falschesten zeitpunkt erwähnte dann der, der mich hinter sich herzog: sie schreibt übrigens auch. meine herrn (…), die blicke, die einen dann treffen, die rufe ich noch heute auf, wenn ich einen anlaß brauche, mich ad hoc aufzuregen. es war sicherlich nicht falsch, wie man mich damals einsortiert hat, der gestus war das, was mich stört(e) – einen ähnlichen gestus meinst du nun in meiner bemerkung zu erkennen, aber dazu später.

    zunächst vielleicht: ich habe mir den respekt, den ich teilweise heute für meine texte bekomme, über die letzten sechs jahre nach und nach erschrieben. da sind einige, denen ich sehr dankbar bin, daß sie mir schon sehr früh publikationsraum gegeben haben, ohne den ich sicherlich nicht oder nicht so schnell meinen zweiten band hätte machen können, weil einfach niemand gewußt hätte, was ich überhaupt so schreibe. dieser ‚respekt‘, in ermangelung eines besseren begriffes, hat mit status überhaupt nichts zu tun: statusdenken liegt mir nicht nur in diesem kontext fern. es gibt manche, die machen mit anfang 20 ihren besten band und zehren dann davon, bis sie 40 sind oder legen fünfmal noch genialer nach; es gibt andere, die brauchen viele vielversprechende anläufe, bis sie irgendwann einen ton finden, der affiziert, sie selbst und andere. ich meine einfach den punkt, ab dem für eine größere anzahl anderer wirklich erkennbar wird, daß jemand etwas zu sagen hat, das interessiert, und einen modus, dies zu tun, der spannend ist. wenn du nun also von fortentwicklung sprichst, wäre das für mich sicherlich das motto der letzten sechs jahre, bis hin zu diesem nicht genau bestimmbaren punkt…. und genau deswegen hat mich dies „noch auf dem weg“ in der rezension so irritiert – wir sind alle auf dem, auf einem weg – aber irgendwann möchte man auch mal vorübergehend ankommen, oder einen gewissen boden geschaffen haben, für sich selbst vor allem anderen. und es ist nun einmal eine formulierung, die man mir wortgleich 2004, 2005, damals zu recht und auf höchst irritierende weise begütigend, mitgab; kindchen, mach mal weiter, dat wird schon noch: weshalb ich jetzt schlicht allergisch darauf reagiere. was natürlich keiner wissen kann.

    du deutest an, du hast den band wie aus der zeit gefallen, kontextlos, gelesen – eigentlich ist es das, was sich jede/r lyriker/in wünschen sollte. trotzdem spielt die eigene (schreib-)biographie bei uns allen rein, erst recht, wenn etwas gerade erschienen ist, und die eigene eitelkeit wird man noch mit den besten vorsätzen nicht los – ich spreche von der eitelkeit, die das öffentliche bild betrifft, das da automatisch kreiert wird („natürlich wird ein autor gern mit seinen ichs verwechselt, vielleicht noch lieber eine autorin“ – den satz fand ich durchaus problematisch, die bewussten distanzierungsgesten verfolgen ja gerade das entgegengesetzte ziel – weniger der nettigkeitssexismus, den ich aushebeln wollte, als den verwandten rückbezugssexismus, ich wollte geradezu in einer boxgeste verallgemeinern, eine art rollenprosa-gestus schaffen – anscheinend nicht gelungen.).

    unter putzig, so viel sei hier noch zum bild des rezensenten gesagt, würde ich dich keinesfalls abspeichern, und das nicht nur, weil ich die letzte wäre, die jüngeren allein aufgrund der paar jahre erfahrungsabstand mit herablassung entgegenträte. ich habe ja ganz bewußt meine dahingehende bemerkung sofort relativiert und notiert, daß ich die rezension insgesamt sehr gelungen finde (wenn ich übrigens nicht wüßte, wie alt der rezensent ist: ich hätte aus verschiedenen gründen auf anfang 40 getippt – und auch dann hätte mich die „auf dem weg“-anmerkung getroffen). nein – die intention, die den band durchzieht, wird angerissen (das prozesshafte); die rezension ist genau; ein für mich zentraler punkt, nämlich die sache mit dem pathos, wird aufgerufen – was will ich mehr. davon abgesehen bin ich übrigens ganze 7 jahre älter als du, und sage jetzt noch etwas, das ich damals, on the receiving end, beschissen gefunden hätte, nämlich: lies das mit anfang 30 nochmal, und eventuell wird dann der piekser doch verständlicher.

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    • Liebe KS, danke für die ausführliche Antwort.
      Der biografische Exkurs mag noch etwas mehr Licht auf die Sache werfen, aber ich denke mal, darauf nicht weiter eingehen zu müssen, sondern picke mir mal die Einzelaspekte mit, wie ich finde, Tagesaktualität heraus:
      Respekt, ausgehend von einer größeren Gruppe, einer Szene – mir fällt es schwer, das von Status zu trennen. In gewisser Weise ist es nicht möglich, sich dem zu entziehen, jede/r meißelt am eigenen Status rum, ob er/sie es nun darauf anlegt – oder nicht (dann eigentlich noch viel mehr, wage ich zu behaupten).
      Ich glaube dir gern, dass das, was du in meinen Worten kurz wiedererkannt hast, sicherlich das Echo einer Zeit sein mag, in der dir, in deinen Worten, der Respekt versagt wurde, für den du hart gearbeitet hast oder, in meinen Worten (und: ganz neutral an der Stelle), du noch kein Status innerhalb des Getriebes hattest. Das war definitiv nicht meine Absicht und ich kann nur wiederholen, dass ich das nicht als generelles von-oben-herab-Urteil angelegt hatte sondern aus meinem eigenen Gedankengang extrahiert hatte, als Riff auf u.a. die angesprochene Prozesshaftigkeit, den Titel etc. –

      Das mag insofern keine rückwirkende Rechtfertigung sein, aber: Ich sehe keinen Widerspruch darin, dir zu attestieren, deine Texte seien „auf dem Weg“ und gleichzeitig zu behaupten, du seist mit deinem Schreiben angekommen – du bist bei einem sehr guten Gedichtband angekommen, wie ich finde. (Als Riff auf das, was Florian schrieb: Fest im Sattel sitzen sehe ich nicht als Widerspruch dazu, auf dem Weg zu sein; die fixesten und geschwindesten Cowboys/-girls tun das doch für gewöhnlich, nicht?) Und ich bin jedenfalls gespannt, wie sich das weiterentwickelt (darüber sind wir uns ja einig: das tut’s so oder so, nicht wahr?). Insofern, um es mal so auszudrücken: Es tut mir leid, wenn der Eindruck entstanden sein sollte, ich habe dich mit diesen Worten betätscheln, von oben herab loben, gutmütig durchwinken wollen.

      (Zum kontextlosen etc. Lesen nur die kurze Anmerkung: Das mag etwas verspult rüberkommen und hat, wenn ich das so unkorrigiert stehen lasse, wirklich soooo einen Barthes, deswegen: Mir ist jederzeit bewusst, dass da eine Person hintersteckt, und eventuell kenn ich deren Biografie, hab bereits vorher Texte gelesen oder mal was auf facebook oder nach ’ner Lesung oder während ’ner Lesung etc. pp. – davon kann ich mich nicht freimachen; und machen wir uns nichts vor: Wenn ich befreundete Lyriker/innen kritisier, denk ich jeden negativ gepolten Satz dreimal statt zweimal durch usw usf., insert random beispiel hier.)

      Das mit dem Nettigkeitssexismus ist ein zweischneidiges Schwert: Allein der drangehängte Halbsatz hat was eklig-ritterhaftes meinerseits, fand ich, surft gefährlich nah bei, na, Nettigkeitssexismus. Und ich war mich nicht sicher: Soll ich das nicht lieber streichen? Andererseits fand ich die Thematisierung dessen irgendwie ziemlich präsent (wenngleich schwer zu fassen, zu zitieren, eher etwas, das im Subtext mitflirrte) und wollte es deswegen nicht ungesagt lassen (da übrigens spielte wohl etwas rein, was ich dich mal habe sagen hören anno 2008 – ich war übrigens damals das blonde Anhängsel von Simone, so gesehen – bzgl. Rehblick und Schreiben als Frau. Gotcha.). Jetzt weiß ich nicht genau, vielleicht, weil ich den Begriff nicht schlüssig auslegen kann: Mach ich mich damit selbst dem „rückbezugssexismus“ schuldig? Oder reden wir eigentlich vom selben: von einer gewissen Rezeptionshaltung, die ebenfalls schwer zu fassen ist, die aber insbesondere bei Frauen und Emotionen und Lyrik schnell mal greift und zu Kurz- wenn nicht gar Trugschlüssen neigt?

      Das mit der Putzigkeit war auch kein direktes Zitat, der angesprochene Kontext nicht auf mich direkt bezogen und ich wollte, um das noch einmal klarzustellen, dich damit nicht persönlich ansprechen – das ist ein Thema, das mich generell beschäftigt (als jemand, der mittlerweile übrigens auch ernster (bzw überhaupt wahr-)genommen wird als noch vor einem Jahr, mal sehen, wie ich damit umgehen werde) – eine gewisse Altersdiskriminierung, die auf Status, sog. „Erfahrung“ oder was weiß ich basiert und welche direktes Symptom einer dieser ganzen (Berliner) Szene zutiefst ins Mark eingeschriebene Hierarchie ist, die ich, gelinde gesagt zum Kotzen finde. (Viel „jugendlicher“ Enthusiasmus, Eifer, Wut, etc. pp. – das ist mir auch bewusst, und das, obwohl ich mir denke, dass es mir gestohlen bleiben kann, solange ich 3, 4 Leute hier habe, die ich mag und mit denen ich mich austauschen kann, in Ruhe meine Lyrikbände lesen kann).
      Da kamen Stichworte wie Debütantin und das „vier Jahre jünger als der jüngere Bruder“ als rote Tücher, vielleicht als ebenso rote Tücher wie ein „auf dem Weg“ irgendwo einzustreuen. Wie gesagt, ich will dir persönlich keinen aktiven Ageism vorwerfen und freue mich wirklich darüber, dass du dir die Zeit nimmst, zu antworten, das belegt schließlich auch das, was du sagst. Ich will höchstens in den Raum schmeissen, dass es durch Status und Statusdenken (wenn auch unbewusst) gibt und uns das vielleicht mehr und häufiger affiziert, als wir so bemerken (wie auch mich: wenn ich mich drüber aufrege, erkenn ich’s ja erst an, nicht wahr?)

      Abschliessend: Selbst, wenn’s es sich doch nicht primär am Inhaltlichen entzündet hat: Schön, dass mein Text mal nicht abgenickt wurde, dann hat er sich auch gelohnt.

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  2. die sprechhaltung scheint mir schon etwas von „erfahrener kritiker“ – „debütierende lyrikerin“ zu haben, das stimmt. danke, florian. ich habe tatsächlich auch erst mal geschluckt, als ich den absatz las, und dann erst recht, als mir klar wurde, daß der rezensent vier jahre jünger ist als mein kleiner bruder. aber jugend an sich hat ja noch niemanden von einem durchaus profunden urteil abgehalten, und im ganzen kann ich mit dieser rezension schon leben; sie scheint mir in der stoßrichtung präziser und treffender als manches, das da sonst noch über den band geschrieben wurde (…wenn mir wer etwa jene ‚multiplen technoiden strukturen‘ einmal zeigte, ich wäre so dankbar, ich finde sie einfach nicht wieder, die müssen doch irgendwo sein…).

    inhaltlich bzw zu den angesprochenen distanzierungsgesten: vielleicht ebenfalls der generation geschuldet? was sagte ich gerade in erlangen auf die betreffende frage, das verbindende element meiner sogenannten generation: ein grundgefühl der unzulänglichkeit

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    • Aber, meine liebe Besagte, das in seinem Eigenen wiederzufinden, was andere dort lesen, ist doch eine Illusion, wie auch andersherum. Wünschst du’s dir?

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      • das ist ein altes und zutreffendes argument, lieber ron, ja. ich müßte auch nochmal durchzählen, aber ich meine, daß gerade einmal drei oder vier, meinetwegen laß es weitgefaßt sieben, acht sein, texte überhaupt durch sogenannte technische oder die ebenfalls angeführten ’naturwissenschaftlichen‘ termini infiltriert wurden – und da scheint es mir einfach ein zu geringer pars zu sein, der da pro toto herangezogen wird. zumal man aus einer terminologie nicht unbedingt auf eine sprechhaltung schließen sollte, das ist eine unart vieler rezensenten.
        wie auch immer – liesl ujvary schrieb vor jahren einmal etwas zu einem eben der texte, auf die es zutrifft, seither zieht sich diese tendenz durch die wenigen rezensionen, die kommen, als roter faden, und erscheint mir schlicht verkürzt. aber auch das gilt: man soll über die eigenen texte nicht sprechen, oder zumindest nicht so ausführlich, daher beende ich das jetzt, bevors ganz geschwätzig wird

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    • Ich weiß immer noch nicht, wieso der Eindruck entsteht, ich würde wie über eine „debütierende lyrikerin“ sprechen. Denn ich kann mir ehrlich gesagt nicht wirklich vorstellen, über eine/n Debütanten/-in großartig anders zu schreiben, andere Maßstäbe zu bemühen oder sonstwas. Letztlich ist es mir egal, wer du bist, was du schon veröffentlicht hast und welchen „Status“ du eventuell haben magst. Ich hatte einen Band mit Gedichten vor mir, den ich aufmerksam gelesen habe, mehrmals gelesen habe, den ich im Kopf hin- und hergerollt habe bis ich mir dachte, mir sicher zu sein, was ich daran gelungen finde, und was ich daran als nicht so gelungen finde.
      Und gelungen finde ich, dass die Richtung einen Grundton haben, der einerseits sehr ästhetisch ist, den man wirklich beim Lesen genießen kann und dass da andererseits eine Menge hinter erahnen kann, was zur Auseinandersetzung mit den Texten reizt. Die ist dann auch schon fruchtbar, weil du, denke ich, der Leserschaft schon einiges in die Hand gibst und doch nicht so viel, als dass man’s kurz abgrabbelt und liegenlässt.
      Die Störfaktoren waren da für mich die Punkte, an denen die Texte den eingestreuten und sehr deutlich erkennbaren Distanzierungsversuchen eigentlich schon voraus waren. Das empfand ich als Ballast, als einen Ballast, dessen sich die Gedichte sich schon von selbst entledigen und auf den du auch ganz verzichten könntest, wie ich meine, ohne dass das etwas an der, sagen wir, Grundhaltung deiner Lyrik ändern würde. So weit, so trivial, eigentlich müsste das – hoffentlich – so aus der Rezension erkenntlich werden.

      Ich kann zwar verstehen, dass ein Urteil wie „ist auf dem Weg“ etc. pp. sich vielleicht lesen liesse, als wäre es einer Überlegenheitspose geschuldet, aber das steht so in einem Kontext, der daraus keinen tätscheligen Allgemeinplatz macht. Sondern ein Fazit, das sich sprachlich an den Titel anlehnt (das mag durchaus etwas schnarchig sein, ändert aber nichts daran) und genug argumentative Herleitung erfahren hat, oder nicht?

      Für mich ist Kritik Angebot zum Dialog (und ich halte es für eine feine Sache, an dieser Stelle die Möglichkeit zum Austausch zu haben). Zwar mag das müßig & müde genug klingen, sowas zu sagen: Ich bin keine letzte Distanz, ich bin jemand, der im öffentlichen Rahmen über Gedichte redet und immer damit rechnet, dass da jemand drauf reagiert. Warum sollte ich mich dabei für überlegen halten oder als „erfahrener kritiker“ inszenieren, zumindest diese Sprechhaltung bedienen? Selbst, wenn ich über deine Texte schreibe, versuch ich mich nicht über sie zu stellen (was gerade bei negativen Rezensionen schätzungsweise zwangsläufig immer den Anschein haben mag), das wär mir zu blöd und dann würde ich auch meine ganze polemische Superpower rausholen, anstatt mir die Mühe zu machen, mich argumentativ damit zu befassen. Würd mir auch die 23€ einbringen. Die würd ich auch mit glänzenden Jubelrufen einfahren, so why bother? Weil es mich interessiert und beschäftigt und weil ich denke, dass ich einem Autoren, einer Autorin soviel Respekt schulde, ihm/ihr ehrlich und fundiert meine Meinung zu sagen (ganz ehrlich: Soweit muss man doch auch denken: Man wird doch irgendwo auch mal in den Stammtischgesprächen Thema gewesen sein, nur sagt einem das niemand ins Gesicht, non?). Selbst, wenn die nicht eitel Sonnenschein ist. Dass man das einfach schluckt oder ins Subjektivitäts-Abseits stellt ist eigentlich nicht Optimum, Optimum ist Diskussion und Reflexion, wie ich finde. Auch das soweit eigentlich trivial, auch wenn die Praxis weitläufig anders aussieht, meine ich zu behaupten.

      Ich würde das gerne verlagern bzw. die Frage stellen wollen: Sind wir es einfach gewohnt, in einer negativen Kritik oder auch nur Anmerkung gleich eine Art von Überlegenheit seitens des Kritikers, der Kritikerin auszumachen? Dass ich, empirisch gesehen, kein „erfahrener kritiker“ bin, ist ja wohl klar. Aber das ist eine Wendung, die ein gewisses Selbstverständnis nahelegt.

      Zum Inhaltlichen, da wäre ich froh, wenn du eventuell etwas ausführen würdest, was für eine Unzulänglichkeit das sein mag. Ich hab’s eigentlich eher als einen gewissen Schutzmechanismus gegen die Rezeption gelesen, insbesondere den Nettigkeitssexismus; deswegen der Halbsatz in meinem Text.

      PS: Ich kann ebenfalls verstehen, dass es vielleicht einen Stich bedeuten mag, und sei’s nur im ersten Moment, von so’nem Typen, der mal vier Jahre jünger usw usf. Finde aber die Bemerkung in Verbindung zusammen mit diesem Debüt-Vergleich auf eine Art exemplarisch: Da gibt’s ja es alles, von Kommentaren wie „Kristoffer, du bist ja noch jung, du kannst es dir ja noch erlauben, Verrisse zu schreiben“ über eine gewisse wohlwollende Ignoranz bis hin zu geifernden facebook-Posts anlässlich der Teilnehmer/innen des L&L, sowas im Bereich von „wir warn ja auch mal so – putzich, nech?“ etc. pp. – Das nicht gegen/an dich gerichtet per se und ich will für niemanden außer mir sprechen und würd mir wahnsinnig gern beweisen lassen, dass es meiner Paranoia geschuldet ist, wenn ich in der „Szene“ Strukturen, gar Hierarchien sehe. (Die ich, um das klarzumachen, auch in die andere Richtung wirken sehe: Alt & vermottet usw usf, sowas wird ja auch gern mal gesagt). Ich frage mich trotzdem, warum mein Alter hier Erwähnung findet und die Debütantin als Vergleich auftaucht.

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  3. Ist an sich etwas vage formuliert, das mag stimmen. Denke aber trotzdem, dass das als nachvollziehbar sein dürfte als Schlussfolgerung aus dem, was ich zuvor geschrieben habe; ergo hoffentlich nicht als fabulierverlegener Gemeinplatz rüberkommt sondern als Fazit einer in sich stimmigen Argumentation. J/N?

    Neugierig macht mich jetzt eher das mit der „Debütantin“, wie kommt der Eindruck zustande?

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  4. O Jeh, alle Lyrik entwickelt sich unaufhörlich fort, und vor allem auch die LyrikerInnen. — Wenn es eine Stimme gibt, hier in diesem poetischen Dörflein, die mit glasklarem Blick die Sprache um sich sortiert, dann ist es die von K. S.
    Es liest sich in der Kritik, als würde über eine Debütantin gesprochen. Aber davon kann keine Rede sein, dafür sitzen diese Gedanken zu fest im Sattel.

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