95. Schuttkarren*

Kassel: Da stellt sich nun die Frage nach dem Bezug des Werks von Paul Celan der Gedichte zur Realität. Sie sagen auch noch mal in Ihrem Buch an einer Stelle, dass Sie jetzt noch stärker als jemals zuvor wirklich auch gemerkt hätten, wie sehr man vieles nur verstehen kann, wenn man seine Lebensgeschichte, wenn man auch seine Familiengeschichte kennt.

Rupp-Eisenreich: Ja, aber mit großer Vorsicht. Denn so direkt ist der Zusammenhang natürlich nicht, der Weg geht immer bei ihm über die Sprache, das ist ganz klar.

(…)

Kassel: Zum Schluss möchte ich noch eine Frage vielleicht stellen für viele junge Menschen, die Paul Celan kennen als Name, er ist in Frankreich wie in Deutschland ja immer noch ein hoch anerkannter und beliebter Dichter, und doch ist es ja nun nicht nur 90 Jahre her, dass er geboren wurde, sondern auch schon 40 Jahre her, dass er gestorben ist. Wenn jemand das Werk nicht kennt von Paul Celan und möchte gerne einsteigen mit einem typischen, aber auch halbwegs zugänglichen seiner Gedichte, hätten Sie dann einen Tipp für ihn oder sie?

Rupp-Eisenreich: Ja, dass er sich nicht begnügen soll, „Die Todesfuge“ zu lesen, die ja glaube ich heute noch in allen Lesebüchern steht. Wenn Sie wollen, dass ich ein Gedicht vorschlage, dann nehme ich „Schuttkarren*“, von dem wir schon gesprochen haben.

Kassel: Das sagt Brigitta Eisenreich, ehemalige Geliebte von Paul Celan. Das Buch, in dem sie ihre gemeinsame Geschichte mit dem großen Dichter, der heute seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte, erzählt, dieses Buch heißt „Celans Kreidestern“ und ist im Suhrkamp Verlag erschienen. / DLR

*) vgl. Kommentar!

2 Comments on “95. Schuttkarren*

  1. ja, in der Tat, danke fürs Aufpassen. Sie meint das nicht nur, sondern sagts auch. Hier kann mans nachhören: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/11/23/drk_20101123_0910_28f4bde9.mp3. Der Fehler muß beim Abschreiben der Gesprächsaufzeichnung passiert sein. Das Gedicht steht in dem Band Sprachgitter (1959).
    Ich glaube wirklich, daß das Zufällige der Entstehungsumstände hilfreicher fürs Verstehen ist als die übliche Hermeneutik. In der Tübinger Ausgabe gibt es 4 Fassungen mit Hinweis auf eine fünfte, die die Szene von der Seine an den Rhein verlegt: Ingeborg Bachmann zu liebe. (Sprachgitter, Suhrkamp 1995)

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  2. Meint sie vielleicht „Schuttkahn“?

    Wasserstunde, der Schuttkahn
    fährt uns zu Abend, wir haben,
    wie er, keine Eile, ein totes
    Warum steht am Heck.

    ………………..

    Geleichtert. Die Lunge, die Qualle
    blüht sich zur Glocke, ein brauner
    Seelenfortsatz erreicht
    das hellgeatmete Nein.

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