19. Zwei Schatten

«Um zu bleiben / braucht man hier / (. . .) / zwei schatten / für eine sonne.» Solche Doppelungen und Spaltungen gehören zur Grundbefindlichkeit des Exilierten, und das Gedicht, dem die Zeilen entnommen sind, wirft denn auch selbst sozusagen einen doppelten Schatten: Es erscheint in Saids neuem Lyrikband «Ruf zurück die Vögel» so gut wie in der Prosasammlung «Das Niemandsland ist unseres». Der 1947 in Teheran geborene Autor ging bereits zu Zeiten des Schah-Regimes ins Exil und hat mittlerweile mehr als zwei Drittel seines Lebens in Deutschland verbracht; dass das Verhältnis zur alten wie zur neuen Heimat aber auch nach so langer Zeit noch ein prekäres ist, deutet sich im zweitgenannten Buchtitel an. …

2009 verliess Said vorübergehend sein «Niemandsland» und errichtete im Dialog mit dem israelischen Lyriker Asher Reich «Das Haus, das uns bewohnt». Der so betitelte Band enthält Gedichte, die der in einem orthodoxen Jerusalemer Quartier aufgewachsene Reich auf Saids Einladung hin an den deutsch-iranischen Kollegen sandte, damit dieser den Texten eigene Dichtungen zur Seite stellen konnte. Diskursiver und fester in der eigenen Herkunft verortet als Saids karge Wortbilder, bietet Reichs Dichtung nicht zuletzt auch eine Art Ankerpunkt beim Versuch, in der Zwiesprache dieser zwar unterschiedlichen, doch einander nicht fremden lyrischen Temperamente den gemeinsamen Nenner zu finden. Eine inspirierende interpretatorische Herausforderung, die dem Leser gleichsam zwei Sonnen – nämlich den eigenen Blick und den poetischen Reflex, durch den die Texte sich gegenseitig beleuchten – für die Jagd nach dem schattenhaften Sinn des Gedichts beschert. / Angela Schader, NZZ 3.8.

Said: Das Niemandsland ist unseres. West-östliche Betrachtungen. Diederichs-Verlag, München 2010. 111 S., Fr. 27.50. Said: Ruf zurück die Vögel. Gedichte. Verlag C. H. Beck, München 2010. 109 S., Fr. 26.50. Asher Reich / Said: Das Haus, das uns bewohnt. Ein israelisch-iranisches Poetengespräch. Stiftung Lyrik-Kabinett München, 2009. 94 S., Fr. 28.20.

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