112. „Ein Rassist als moderner Lyriker“

„Gottfried Benn, geboren 1886 und aufgewachsen in Dörfern der Provinz Brandenburg. Belangloser Entwicklungsgang, belangloses Dasein als Arzt in Berlin“. Mit diesen drei Zeilen stellte sich der Dichter 1919 in in der berühmt gewordenen Lyrikanthologie „Menschheitsdämmerung“ vor. Mit diesen Zeilen beginnt auch Joachim Dycks kompetente Einführung in Leben und Werk Gottfried Benns, die vor allem eines deutlich macht, dass weder Leben noch Werk des Dichters belanglos waren – im Gegensatz zu denen anderer seiner schreibenden Zeitgenossen.

Gleichwohl sei sein Leben bestimmt gewesen durch den „primären Drang nach Abgrenzung“. Vielleicht habe sich deshalb die um 1968 einsetzende Forschung besonders für Benns Verhalten im Jahr 1933 interessiert, vermutet sein Biograf Joachim Dyck. Manche, die sich über Benn geäußert haben, wie jüngst Christian Schärff, meinen sogar, Benn habe sich in den Netzen der Nazis verfangen.

Diesen und ähnlichen Klischees versucht der Germanist Joachim Dyck, bekannt geworden als ausgewiesener Benn-Kenner – immerhin ist er Vorsitzender der Gottfried-Benn-Gesellschaft und Herausgeber des Benn-Forums – energisch zu widerlegen und zeigt sich redlich bemüht, Benns Werk im Zusammenhang mit der jeweiligen Zeitgeschichte zu erläutern. Dabei zeigt sich, wie Dyck gleich eingangs hervorhebt, dass die Dramatik von Benns Leben ebenso in der Radikalität seiner gesellschaftlichen Isolierung wie in der Radikalität seiner Ansichten liegt, die der Dichter oft mit ungewöhnlicher gedanklicher Schärfe und sprachlicher Virtuosität zum Ausdruck gebracht hat. / Ursula Homann, literaturkritik.de

Joachim Dyck: Gottfried Benn. Einführung in Leben und Werk.
Walter de Gruyter Verlag, Berlin 2008.
200 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783110196399

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