65. Benyoëtz’ Sprachmagie

Eine provokante Wirkung auf manche Leser entfaltet, obgleich nicht so intendiert, möglicherweise Benyoëtz’ Auffassung von Sprache. Im Einklang mit der jüdischen Tradition gilt sie ihm als die Quelle der gesamten Schöpfung. Wie schon im Band Allerwegsdahin. Mein Weg als Jude und Israeli ins Deutsche (2001) zitiert er aus dem Midrasch, der rabbinischen Bibelauslegung, zum ersten Buch Mose: „Gott schaute in die Tora und schuf die Welt nach diesem Plan. Auch Gott muss sich am Buch orientieren“ und knüpft hier direkt an: „Sprache – das ist der Baum des Lebens, der über Nacht zum Baum der Erkenntnis auswuchs“ (S. 37). Das läuft jeder kruden Kommunikationstheorie zuwider, die Sprache zum bloßen Austauschmedium zwischen Sender und Empfänger reduziert, und die wohl eher dem intellektuellen Zeitgeist entspricht als Benyoëtz’ Sprachmagie. In Keine Worte zu verlieren (2007), der Festschrift zum 70. Geburtstag, weist Kurt Oesterle zu Recht darauf hin, „dass nicht nur die Religion das ‚verlorene Thema’ ist, sondern auch die Sprache, eine genaue und wahrhaftige…“ Der Aufgabe, „ihr zu ihrem wahren Sinn zu verhelfen und sie vor bloßer Bedeutungsträgerei zu schützen“, ist sich Benyoëtz wie kaum ein anderer Aphoristiker bewusst. / Tobias Grüterich, fixpoetry.com

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