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Johannes Schenk, rundes Gesicht, verträumte Augen und meist ein Lächeln um die Lippen, war einer von ihnen und dann auch wieder nicht, denn seine Welt war die der Seefahrer. „Die Schiffe, das Meer und die Häfen am Rande haben mir die Bilder geschenkt, die ich beim Schreiben brauche. Es sind manchmal etwas nasse Metaphern, aber ich nehme es hin. Hab sie ja erfahren“, schreibt er in seiner Gedichtsammlung „Überseekoffer“. Das Buch verlegte er 2000 im Eigenverlag, doch die Figuren seiner farbenfrohen und tatsächlich etwas arg durchnässten Gedichte scheinen aus dem 19. Jahrhundert zu stammen: Piraten und Zirkusakrobaten tummeln sich in den balladenartigen Gedichten, vor allem aber Matrosen, Kapitäne und schöne Frauen, die in den fremden Häfen auf Seefahrer warten. Schenks Sehnsucht glich damit nicht der seiner Generation, die lieber als herumschweifende Haschrebellen Goa, Kathmandu oder Afghanistan anpeilten. Sie schien vielmehr aus einer Zeit zu stammen, als die weißen Flecken auf der Landkarte noch zahlreich waren. …
In Schenks Berlin begnügte man sich dagegen nicht mit Träumen: In Kreuzberg wehrten sich die Bewohner in den siebziger Jahren heftig gegen das Vorhaben, eine Autobahn quer durch ihr Viertel zu legen, bald darauf gab es die ersten Krawalle am 1. Mai. Dem friedlichen Schriftsteller, der in den sechziger Jahren seine ersten Gedichtbände „Bilanzen und Ziegenkäse“ und „Zwiebeln und Präsidenten“ veröffentlichte, war das zu gewalttätig. „Er war nicht politisch, er wollte die Welt nur ein wenig schöner machen“, sagt Natascha Ungeheuer und erzählt vom Schenkschen Sonntagscafé, das er 1986 sieben Jahre lang in einer alten Fabrik in Kreuzberg betrieb. Schriftstellerfreunde wie Kurt Mühlenhaupt oder Jurek Becker lasen dort, der Maler A.R. Penck trat mit seiner Penck Band auf und immer wieder der Hausherr selbst. „Johannes war eine Lokomotive beim Lesen, er hat die Leute warm gelesen“, sagt Ungeheuer und springt auf, um einen alten Radiomitschnitt vorzuspielen. Schenks Stimme hat darin zwar nichts von einer Maschine, dafür fließt sie dunkel und samten wie ein Fluss durch das Erzählgedicht. Die klassischen Regeln der Dichtung sind Schenk dabei egal, auch haben seine Verse wenig mit moderner Lyrik gemeinsam, der Verfasser erlaubt sich vielmehr einen sehr persönlichen Stil: „Meine Grammatik ist das Leben, das ich sehe, fühle, rieche und schmecke“, schreibt er einmal. Wer das nicht mag, wird mit den Schenk“schen Versen nichts anfangen können.
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