78. Unpeinliche Preisträger

Man könnte meinen, in einer Art von Literatur 2.0 gelandet zu sein – Mitmachtexte für alle, die auch mal etwas schreiben wollen und so reden, wie es ihnen eben einfällt: „Die vielen Enttäuschungen, das Hadern mit dem eigenen Schicksal, das Infragestellen des kreierten Selbst, aufgeworfen durch zu wenig oder zu viel Gefühl, hin und her gerissen zwischen ohnmächtiger Wut und immerwährender Hoffnung.“

Einer der Lektoren, der aus den 700 eingesandten Texten eine Auswahl treffen musste, sprach einmal vom Sound, der ihm gefallen habe. Es scheint, als sei manchmal vergessen worden, dass der Sound auch ein paar Gedanken transportieren sollte. Aber nein, „der Tisch unterscheidet sich nicht wirklich von deiner Hand und nicht wirklich von dem Mobiltelefon“, „ich stand noch einmal auf, um mir eine heiße Milch zu machen, aber auch das half nicht wirklich“, und überhaupt: „Wir dachten immer, unsere Großeltern wären unkaputtbar.“ Ein flotter Zeitschriften-Kolumnenunterhaltungston bahnt sich da an, lifestyletechnisch bestens abgefüttert und hin und wieder abgesichert mit Emanzipationsrhetorik. Nicht literaturfähig, wirklich nicht. …

Konstantin Ames überzeugte Publikum und Jury mit seinen zwischen Sprachwitz und heiligem Ernst flackernden Gedichten, und er war nicht der einzig preiswürdige Lyriker des Wettbewerbs. Was wieder einmal zeigt: Zumindest in dieser Gattung gibt es, wie die Veröffentlichungen der vergangenen Jahre zeigen, keine Nachwuchssorgen. Vielleicht ist jede Sorge aber auch unbegründet: 700 Einsendungen, 20 Autoren, drei unpeinliche Preisträger. / Christoph Schröder, FR 16.11.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..