Spiegel im Traumwald

Ein neuer Trend? Alle feiern Heiner Müller – Spiegel nicht. Spiegel schreibt keinen feiernden (blumigen?) Text im gewöhnlichen Spiegel Speak, sondern „läßt selbst sprechen“. Allerdings nicht uneingeleitet:

Statt Blumen

Heiner Müller im Traumwald

Alle feiern den 75. Geburtstag von Heiner Müller. Symposien im ganzen Land, Neuinszenierungen, lange Feuilletonartikel. Heiner Müller mochte keine Blumen – eher Whisky und Zigarren. SPIEGEL ONLINE verneigt sich vor dem 1995 gestorbenen Dramatiker – und lässt ihn selbst sprechen.

Folgt ein Text in Anführungszeichen, darunter der Vermerk: Copyright Suhrkamp Verlag. Offenbar ein Text von Heiner Müller. Hat er einen Titel? „Statt Blumen“? „Heiner Müller im Traumwald“? Spiegel schweigt.
Die Antwort findet der geneigte Leser – sofern er sich auskennt oder geduldig sucht – im Band 1 der Suhrkamp-Werkausgabe von 1998, „Die Gedichte“, S. 298. Dort steht ein wortgleiches Gedicht – mit der Überschrift „Traumwald“ und der Jahreszahl 1994. Allerdings anders aufgeteilt, nämlich in 14 (sic) Zeilen. Einziges Satzzeichen ein Punkt nach dem letzten Wort der letzten Zeile. Das Gedicht weist die übliche Großschreibung aller Substantive, Zeilen- und (falls im Versinneren) Satzanfänge auf. Darüber hinaus ein sonettübliches Reimschema und sogar die sonettübliche Silbenzahl 10 pro Vers: ganz regulärer fünfhebiger Jambus.

Aufklärung über den „Spiegel“-Text gibt die Anmerkung auf S. 351: „FAZ 9.1.1995 (o.T. und in orthographisch anderer Fassung)“.

L&P gratuliert mit Whisky (ohne Zigarre). Und empfiehlt Müller-Fans, nach Lektüre des folgenden Beitrags aus der Berliner Zeitung die Papierausgabe zu lesen – wegen des Faksimiles.

/ 9.1.04

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