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Veröffentlicht am 26. Dezember 2025 von lyrikzeitung
160 Wörter, 1 Minute Lesezeit.
Ludwig Fels
(* 27. November 1946 in Treuchtlingen; † 11. Januar 2021 in Wien)
Ein Geier im Garten
für Malcom Lowry
Ich weiß nicht, ich weiß nicht
ein Geier hockt im Garten
jetzt, mitten in der Nacht
ich grüße ihn, er flattert mit den Flügeln
wetzt seinen Schnabel am eisigen Boden
das Geräusch treibt mich zurück ins Haus
ich werfe ihm Bücher und Knochen vor
aber alles verschmäht er
als habe er gar keinen weiten Weg zurückgelegt
ich schreie durchs Fenster, er fliegt nicht davon
hockt da und hackt sich in die Federn
kühlt seinen Schnabel im Schnee
es ist alles da, ich und die Welt am alten Platz
jetzt noch Hufspuren von Kamelen
dann bin ich verrückt oder in Urlaub
ich weiß nicht, was mir lieber wäre
kein Teppich segelt vorbei
nur der Geier hockt im Garten
mit blauem Hals und tränenroten Augen
wartet auf die Sonne
fliegt gegen Morgen müde davon.
Aus: Ludwig Fels: Blaue Allee, versprengte Tataren. Gedichte. München • Zürich: Piper, 1988, S. 98
Kategorie: Österreich, Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Blaue Allee versprengte Tataren, Ein Geier im Garten, existenzielle Lyrik, Gedicht des Tages, Gedicht Ludwig Fels, Ludwig Fels, Lyrik der 1980er Jahre, Lyrikzeitung, Malcolm Lowry, Malcolm Lowry Widmung, Nachtgedicht, Piper Verlag, Surreale Lyrik, Tiermetapher
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