o tod du dunkler meister

246 Wörter, 1 Minute Lesezeit.

Heute vor 25 Jahren starb der große österreichische Dichter H. C. Artmann. Viele erinnern sich an seine legendären Dialektgedichte, die Wiener Gruppe, den barock-grotesken Humor. Doch Artmann hat auch ganz andere Töne angeschlagen – etwa in diesem Text aus dem Jahr 1954.

„o tod du dunkler meister“ ist eine düster-schillernde Beschwörung: eine Ode, ein Flehen, ein Abwehrzauber. Der Tod erscheint hier als „gallenbittres elixier“, „zugereister harpunier“, „rosenzwerg im hinterhalt“, „aufgerißner kiefer“ und „ohngeformter rattenschnabel“. Eine Galerie von Metamorphosen, die das junge, wilde Artmann-Universum schon vollständig enthalten.

H(ans) C(arl) Artmann 

(* 12. Juni 1921 in Wien-Breitensee; † 4. Dezember 2000 in Wien)

o tod du dunkler meister 
du gallenbittres elixier
du zugereister harpunier und gott
du mond voll blinder augen
du rosenzwerg im hinterhalt
du spinnenturm du spinne
du punkt zum abgethronten leben
o tod du schwarzer meister
erhöre uns erhöre uns
verschone uns
vor deinen spröden särgen
zerbeiß uns nicht das hirn wie glas
o tod du dunkler meister
zerbeiß uns nicht wie glas ..
o tod du dunkler meister
du aufgerißner kiefer
du untrostschwere erden
du ohngeformter rattenschnabel
du durch und durch gewürmtes fleisch
du samenfraß du leere muschel
du nasse aschensonnen
o tod du schwarzer meister
erhöre uns erhöre uns
verschone uns
vor deinen wunden särgen
zerbeiß uns nicht wie glas das hirn
o tod du dunkler meister
zerbeiß uns nicht wie glas ..

3. 7. 54

Aus: H. C. Artmann: Wenn du in den Prater kommst. Gedichte. Herausgegeben von Richard Pietraß. Berlin (Ost): Volk und Welt, 1988, S. 41 (Weiße Lyrikreihe)

Mit und ohne den gut erhaltenen 37 Jahre alten Pergaminumschlag

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