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Man kennt Paul Pörtner vor allem von seinem Einsatz für das Wiederentdecken expressionistischer Literatur nach dem letzten Krieg sowie von einigen Übersetzungen. Er hat auch Gedichtbände veröffentlicht, die vergessen wären, wenn nicht – die Musik eingesprungen wäre. Der Komponist Bernd Alois Zimmermann (1918–1970) veröffentlichte 1961 „Présence, ballet blanc für Klaviertrio und stummen Darsteller“, das auf Texte von Cervantes, James Joyce, Alfred Jarry und Paul Pörtner rekurriert:
Bei der Komposition von Présence handelte es sich ursprünglich um den Auftrag für ein Klaviertrio, der vom Hessischen Rundfunk und Hans-Wilhelm Kulenkampff ausging. Doch schon bald verwandelte und erweiterte Zimmermann das im Entstehen begriffene Werk in ein die Grenzen der Gattung sprengendes Stück, dem er eine szenische Dimension einkomponierte. Er verband die Musik mit im Einzelnen analytisch kaum zu entschlüsselnden szenischen und literarischen Verweisen, um ein abstraktes Ballett zu ermöglichen – ein musikalisch-choreographisches Spiel, das die Phantasie anregt. (Zugleich durchbricht er die traditionelle Vorstellung des homogenen, in sich geschlossenen Werks.)
In dieses Werk (das seither regelmäßig aufgeführt wird) hinein rettet der Komponist die vergessenen Verse von Paul Pörtner. Zum 100. Geburtstag, der heute in Wuppertal mit einem Kolloquium gefeiert wird (bei dem auch die Lyrikerin Mara Genschel auftritt), bringe ich hier eine weitere kurze Passage über Zimmermanns Komposition und darunter die dort verwendeten Kurzgedichte von Pörtner. In der Pdf (Quellenangabe unten) gibt es mehr Informationen und auch zwei Seiten aus den Noten. In dem eingebetteten Video einer Aufführung in Reykjavík kann man die Noten mitlesen, darin sind auch die Texte notiert (die Sprungmarken unter dem Video führen direkt zu den Szenenanfängen mit Pörtners Text). Neue Musik und Neue Poesie.
Bei den literarischen Motti, die Zimmermann den fünf Szenen voranstellte, handelt es sich um Kurzgedichte von Paul Pörtner aus dem Lyrikband »Schattensteine« (1958). Pörtner, der aus Wuppertal stammte, war nicht nur Übersetzer der Stücke von Alfred Jarry, sondern auch Autor und Theoretiker des experimentellen Theaters.
»Die Wortembleme, Wortsteine: vage Wegweiser in einem Eisfeld – wer vermag zu entscheiden, ob sie nicht ›verstellt‹ sind? – sind die ›Dekoration‹ der imaginären Szene. Paul Pörtner gibt damit Zeichen, welche ihren Kontrapunkt in den Bildtafeln der einzelnen Szenen finden, die der speaker – der stumme ›speaker‹ – vorstellt.« (Zimmermann 1961)
Paul Pörtner
(* 25. Januar 1925 in Elberfeld; † 16. November 1984 in München)
wir jagen das wild
das uns opfert.
die stählernen engel der dinge
holen uns ein.
Alle Wahr-
vögel nisten
in einem
einzigen Baum.
Flutende Lippen
umwogen den Grund ...
unentblätterter Schlaf,
atemloses Versprechen ...
Insel der schwebenden Vögel.
Im unaufhörlichen
tamtam
deiner haare
dreht sich der sarg
der umkehrenden
träume.
Programmheft einer Aufführung bei der Yun-Gesellschaft
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