Heimweh. Wüsten und Friedrich

Johannes Wüsten (* 4. Oktober 1896 in Heidelberg; † 26. April 1943 in Brandenburg an der Havel; auch Peter Nikl oder Walter Wyk) war ein deutscher Künstler und Schriftsteller. Er gilt mit seinen bildhaften Kupferstichen neben Karl Rössing (für den Holzschnitt) als Begründer und erster Meister der deutschen Stecherbewegung des 20. Jahrhunderts. (…) Ein Großteil seines künstlerischen wie auch literarischen Werkes gilt als verloren. https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Wüsten

Das Gedicht des Tages von Johannes Wüsten hier eingeführt in einem Aufsatz des Greifswalder Literaturwissenschaftlers Georg Wenzel.

1938 veröffentlichte Johannes Wüsten in Heft 9 der von Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger und Willi Bredel in Moskau herausgegebenen Exilzeitschrift „Das Wort“ die Erzählung „Heimweh“. (…) Der Erzähler berichtet aus den letzten Wochen des von ihm hochgeschätzten Malers Caspar David Friedrich (geboren am 5. September 1774 in Greifswald, gestorben am 7. Mai 1840 in Dresden). Die Landschaft seines Malens begleitet den zu Tode erschöpften Künstler in den Schlaf, in dessen Traum Jakob Böhme erscheint. Eine sonderbare Trinität, die sich mit dem Erzähler Wüsten, dem Maler und dem Görlitzer Philosophen herstellt. Die Grenzen zwischen noch wahrnehmbarer Wirklichkeit und Prophetie sind fließend. Dachte Johannes Wüsten an sein Nachleben? Denn das Traumgespräch mit Jakob Böhme schließt ermutigend: „Wohl dir, daß deine Bilder so voll Heimweh sind, voll Heimweh nach der Heimat, die vor uns liegt“, Vordeutung des Weiterlebens eines bedeutenden Künstlers durch sein Werk nach dem leiblichen Tode und, zugleich, Bewußtwerden des unabdingbaren Endes eines Erdenlebens. Heimweh erhält in dieser Transparenz eine erschütternde Klarheit, empfänglich auch für die im Leben durchlebte Brüchigkeit des Glücks.

Ein spätes Gedicht Wüstens sagt mehr aus und deutet auch die Abschiedsqualen seines Malers C. D. Friedrich.

Heimweh 

Eis'ge Stürme fegen nur durch Rock und Hut,
und die Pfützen sind wie Scherben, und im Schnee
versickert Blut,
doch mein Herz hört schon den Klang
dort vom Ende der Allee – bei den Fenstern,
wo die Lampe golden brennt.
summt ihr leis beim Abendbrot jenes Lied.

Kameraden ruhn auf kaltem Meeresgrund,
aus den Himmeln stürzte Feuer, und es schlug
die Häuser wund,
und es riß der Glocke Strang.
Doch im Keller tief zur Nacht schau' ich s fiebernd
und mein Herz pocht hart und heiß,
dass der Engel sich erhebt,
schon zu meinen Häupten schwebt.

Über die Erzählung mit dem gleichen Titel wie das Gedicht schreibt Wenzel:

Er vergegenwärtigt den in „einem völlig kahlen Raum“ liegenden Maler, dessen Staffelei auf eine der letzten Arbeiten verweist, zugleich aber Lebenslandschaft einfängt, Dresden, die EIbe, besetzt mit Frachtkähnen und Segelschiffen. Bereits 1795 war Friedrich nach Dresden gekommen. Nun, mit den Folgen von Schlaganfall und schwerer Krankheit kämpfend, sucht der seines Körpers längst überdrüssige Maler nach dem Tode.

Zeitgenossen beschrieben den erbärmlichen Zustand, so z. B. der russische Dichter Wassili Shukowski, der Friedrich 1840 noch einmal sah und im Tagebuch vermerkte: „Traurige Ruine. Er weinte wie ein Kind.“ Der Körper soll des Körpers sein, aber die Seele soll ihren freien Lauf haben. Während der Organismus zu vergehen scheint, „reist seine Seele“, überschwebt die vertraute Bergwelt, „die ihn sein Leben lang begeistert hatte“, Schneekoppe, Hohes Rad, der Reifträger und die Sturmhaube.

Der Text von Georg Wenzel hier http://www.johannes-wuesten.de/aktuelles/forschung/heimat-im-exil-zur-grenzerfahrung-des-malerdichters-johannes-wuesten/

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