Ararat

Wieder mal eine Fundsache aus dem jüngsten Lyrikjahrbuch. Die Gedichte sind dort ohne Verfassernamen abgedruckt. (Über die Seitenzahl kann man ihn aber herausfinden).

Andreas Peters

(Geboren 1958, lebt in Laufen)

Ararat

Für Dan Pagis

Sie torkelten, stampften, tanzten
ins Tal hinab, je 2 & 2, oder zu dritt,
oder ganz allein oder zwischen
den 1000Füßlern, die Sems, Hams, Jafets. Im
Gefolge Schwiegertöchter mit unaussprechlichen Namen,
daher nicht notiert, wie Frau Noach selbst.
Die Flossenschläger aber: Kleine Fische, große Fische,
schwömmen am Bosporus vorbei, unter
dem Regenbogen: Leviathan & Rahab, Refaim,**
all die Meeresungeheuer* (grandes monstruos marinos*),
samt Tarsisschiffen, bar des Logbuchs & ohne Lotsen.
Sie wussten nichts von der Rettung.

** hebr., Schatten der Unterwelt

Aus: Jahrbuch der Lyrik 2024/25. Herausgegeben von Matthias Kniep und Karin Fellner. Frankfurt/Main: Schöffling Co., 2024, S. 182

Ich will das Gedicht nicht interpretieren, aber das Wort Leviathan reizt doch zum Innehalten. Ich las es als Kind in der Lutherbibel, man stellt sich – ich stellte mir – etwas Schreckliches vor. Aber wie passt er ins Gedicht? Der Ararat ist bekanntlich der Platz, wo die Arche Noah nach der Sintflut landet. Noah und seine namenlose Frau und die drei Söhne Sem, Ham und Jafet (Japhet) steigen aus und beginnen die Menschheit von vorn – wir alle stammen von diesen drei Männern ab, wer auch immer die Schwiegertöchter war(en) – vermutlich hat Noah die vorsorglich mitgenommen. Mit ihnen steigen auch alle die Tiere aus, aber hat Noah auch den Leviathan und die anderen Meeresungeheuer mit in die Arche genommen? An dieser Stelle werden sie nicht erwähnt. Der Leviathan kommt bei Hiob vor, eine rätselhafte Stelle von den Verfluchern des Tages, die den Leviathan erregen. Ich schlage nach. Die Elberfelder Bibel von 1905 sagt, vielleicht mit einer Anleihe bei Luther: „Verwünschen mögen sie die Verflucher des Tages, die fähig sind, den Leviathan aufzureizen!“ Die Übersetzung von Schlachter 1951 spricht von Drachen, insofern ein wenig fasslicher, aber nur mit dem Fabeltier, der Rest ist eher noch rätselhafter: „Die, so den Tagen Böses losen und imstande sind, den Drachen aufzuwecken, sollen sie verfluchen.“ (Die Stelle ist Hiob 3, 8).

Wie auch immer, Leviathan, Drachen… im modernen Hebräischkurs lernt man: לִוְיָתָן liviatan: der Wal. Der wird bestimmt in der Arche gewesen sein: Noah, der Walfänger. 🙂 (Ketzerischer Gedanke: Vielleicht haben Luther und seine Nachfolger die Stelle auch nicht so genau verstanden?)

Zurück zu unserem Gedicht. Was ist mit Refaim? Meine Bibelkonkordanz kennt nur die Ebene Rephaim an diversen Stellen des Alten Testaments, zum Beispiel 1. Chronik 11, 15. Und Rahab? Noch schwieriger: eine Rahab kommt an diversen Stellen als „die Hure Rahab“ vor.* (Da ich beim Ketzern war: war die auch auf der Arche? Auweia.) Ich hab ja gesagt, ich will es nicht interpretieren. Aber ein bissel herumspielen ist auch schon was. Das Gedicht lädt dazu ein.

*) Aber da ist es doch, das mythische Seeungeheuer.

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