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Veröffentlicht am 4. Juli 2024 von lyrikzeitung
Melchior Vischer
(* 7. Januar 1895 in Teplitz-Schönau; † 21. April 1975 in Berlin)
Heimlicher Wendekreis
Am Abend
Trägt sich der Mensch
Müde vom Tage
Gleichsam zu Grabe.
Wäre er ein Gott,
Schliefe auf ewig er ein.
Da er nur Mensch,
Muß wieder ein Morgen sein:
Glücklos, glückvoll,
Immer allein.
Wenn dann die Nacht in den Morgen geht,
Und ein südlicher Wind
Durch das Fenster weht,
Wird das fleischliche Gehäuse
Plötzlich wach –
Laut klopft das Herz
Und alles fällt ihm ein:
Der Seele Not,
Das feile Brot,
Dies kirre Sein,
Ein wirsches Nein.
Jetzt kommt ein Sonnenstrahl daher,
Jung, nicht schwer.
Das laute Herz versinkt immer mehr
In des Leibes Muskelmeer.
Und der Schlag wird nun lind:
Man schläft ein wie ein Kind.
Aus: Melchior Vischer: Muss wieder ein Morgen sein. Gedichte 1930-1960. Mit einem Nachwort von Jürgen Serke. Wien, Darmstadt: Paul Zsolnay, 1989, S. 11f.
Kategorie: Deutsch, Deutschland, TschechoslowakeiSchlagworte: Melchior Vischer
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