Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Um diese neue Übersetzung im Verhältnis zu den bereits vorliegenden beurteilen zu können, sei zumindest ein Beispiel angeführt. In dem Sonett „Un dí si venne a me Malinconia“, treten dem Sprecher seine Gefühle in personifizierter Form gegenüber und beginnen ein Gespräch, das die Vorausahnung des Todes der geliebten Dame zum Gegenstand hat:
Un dí si venne a me Malinconia
e disse „Io voglio un poco stare teco“;
e parve a me ch’ella menasse seco
Dolore e Ira per sua compagnia.
E io le dissi: „Partiti, va’ via“;
ed ella mi rispose come un greco:
e ragionando a grande agio meco,
guardai e vidi Amore che venia,
vestito di un drappo nero,
e nel suo capo portava un capello
e certo lacrimava pur di vero.
Ed eo le dissi: „Che hai, cattivello?“
Ed el rispose: „Eo ho guai e pensero,
Ché nostra donna mor, dolce fratello“.
Bei Kannegießer / Witte wird daraus 1842:
Kam eines Tags Melancholie zu mir,
und sprach: „Ich will ein wenig Rast hier halten“
Und wenn mich nicht mein Auge täuschte, wallten
Als Fahrtgenossen Schmerz und Zorn bei ihr.
Und ich begann darauf: „Fort, fort mit dir!“
Da hört ich sie wie einen Griechen walten,
und ganz gemächlich ihre Red’ entfalten;
Doch da ich aufsah, war auch Amor hier,
von einem schwarzen Kleide neu umfangen,
und einen Hut hat er aufs Haupt gesetzt,
aufricht’ge Thränen näßten seine Wangen,
und ich: „Was hat dich, armer Schelm, verletzt?“
Und er antwortete: „Mich muß wohl bangen,
denn, Bruder, unsre Herrin stirbt anietzt.“
Zoozmann, der das Sonett in seiner Ausgabe Dante. Gedichte von zweifelhafter Echtheit (2. Aufl. Berlin und Leipzig: Behrs und Feddersen 1927) übersetzt, bietet folgende Lösung:
Kam eines Tags zu mir Melancholie
Und sprach: „Ich will ein wenig bei dir halten.“
Und mir erschiens, als ob da mit ihr wallten
Der Schmerz und Zorn, der ihr Gesellschaft lieh.
Und zu ihr sprach ich: „Fort, und laß mich frei!“
Sie gab Bescheid, als wenns ein Grieche tue,
Und sprach zu mir behaglich, ganz in Ruhe –
Aufblickend sah ich, Amor kam herbei,
Gekleidet wiederum in schwarze Tracht,
Und auf dem Haupte trug er einen Hut,
und wirklich, seine Träne floß mit Macht.
Und ich: „Was ist es, Schelm, was wehe tut ?“
Und er: „Ich fühle Schmerz, weil ich gedacht,
daß, Bruder, unsre Frau im Tode ruht.“
Zoozmanns „wiederum“ in Vers 9 soll das „di novo“ des Ausgangstexts wiedergeben, verkehrt dieses aber in das Gegenteil, da „di novo“ hier ausweislich der Kommentare bedeutet, dass es sich um ein neues, noch nie getragenes Kleidungsstück handelt, wie das bei Trauerkleidern üblich gewesen sei. Während Kannegießer und Zoozmann für das „menare seco“ („mit sich führen“) des dritten Verses das wesentlich stärkere „wallten“ wählen, schlägt Hertha Federmann 1966 mit der ‚geteilten Gegenwart‘ eine nüchternere, aber nicht unbedingt verständlichere Lösung vor, die jedenfalls auch nicht genau das Bild des Originals trifft:
Melancholie kam eines Tages zu mir
und sprach: „Ich will bei dir ein wenig weilen.“
Es schienen ihre Gegenwart zu teilen
Trauer und Mitleid, die ich sah bei ihr.
Ich sprach: „Fort, hebe dich hinweg von mir.“
Stolz wie ein Grieche, ohne sich zu eilen,
geruhte sie mir Antwort zu erteilen.
Alsdann gesellte Amor sich zu ihr.
Er hatte einen schwarzen Mantel umgeschlagen,
sah einen Trauerhut ihn nun auch tragen.
Und weinen sah ich ihn vor großem Leid.
Ich sprach: „Was bringst du, Böser, für Verderben?“
Und er zu mir: „Ich bin voll Traurigkeit,
denn unsre Herrin, Bruder, liegt im Sterben!“
Dass der schwarze Umhang neu ist, erfährt man in dieser Übersetzung nicht. Dafür hat Federmann die etwas rätselhafte Stelle mit dem Griechen in Vers 6 gut getroffen, da „rispose come un greco“ („antwortete wie ein Grieche“) sich auf den im Italienischen nicht nur im 13. Jahrhundert sprichwörtlichen Stolz der Griechen bezieht, was bei Kannegießer und Zoozmann weitgehend unverständlich bleibt. Den „cativello“ aus Vers 12 verfehlt sie aber mit „Böser“ wohl ähnlich wie Kannegießer und Zoozmann mit „Schelm“, da es sich eher um eine unglückliche, traurige Gestalt handelt. Das Reimschema des Dante-Sonetts (abbaabbacdcdcd) hält nur Kannegießer durch, Zoozmann gibt schon im zweiten Quartett auf, Federmann entfernt sich in den Terzetten davon und weicht auf das Schema ccdede aus.
Hier liegt eine der Stärken von Vormbaums Übersetzung. Es gelingt ihm auf durchaus artistische Weise, Dantes Reimschemata im Deutschen versgenau nachzubilden, was aber, wie nicht anders zu erwarten, an manchen Stellen auf Kosten des genauen Verständnisses des italienischen Texts geht.
/ Olaf Müller, literaturkritik.de
Dante Alighieri: Gedichte – Rime. Italienisch und Deutsch.
Übertragung von Thomas Vormbaum.
LIT Verlag, Münster 2014.
250 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783643127563
Neueste Kommentare