Laien lesen Dante

Es ist eine erstaunliche Menge von Freiwilligen, die an dieser Initiative zu Ehren Dante Alighieris mit sichtlicher Begeisterung teilnehmen. Alle Altersklassen, alle Berufe – keineswegs nur die zu erwartenden Akademiker, sondern Handwerker, Angestellte und Geschäftsleute – und ein bisschen Prominenz: Neben den Amtsträgern rezitieren der Direktor des «Corriere della Sera» und ein Land-Art-Künstler. Sogar eine Gruppe von Niederländern ist dabei, die in ihrer Sprache und ganz in Weiss gekleidet einen Gesang aus dem Paradies vortragen. Auf je eigene Weise haben sie alle Feuer gefangen, nicht für den gelehrten Dante, den Poeta theologus, sondern für den Dante des Volkes, wie er in den Florentinischen Novellen vom Ende des 14. Jahrhunderts auftritt und sich zum Beispiel mit Handwerkern anlegt, wenn sie seine Verse fürchterlich verstümmelt vor sich hin sagen.

In einer Zeit wie der unsrigen, in der die Vermittlung grosser klassischer Texte immer schwieriger wird, ist eine Initiative wie «100 Canti» – so heisst sie – höchst eindrucksvoll. Ins Leben gerufen wurde sie von der Associazione culturale namens Culter – das sind im Grunde zwei engagierte, in Kulturarbeit versierte Damen und ein Regisseur, die alles auf die Beine stellen. Neben seiner Theaterarbeit widmet sich der Regisseur Franco Palmieri seit längerem der Arbeit an den 100 Gesängen Dantes mit Laien. Bis zu sechs Proben werden jeweils angesetzt. Gerne lässt er sich auch darauf ein, in den Gefängnissen mit Häftlingen den italienischen Nationalpoeten im Rahmen eines Reintegrationsprogramms zu lesen. Auch diesmal waren wieder einige Häftlinge dabei, mit dem von ihnen gewählten 17. Gesang aus dem Purgatorium, der von der Sünde des die Sinne vernebelnden Zorns berichtet. Wer sie sieht, muss gleich an jenen Gelegenheitsdieb in Pasolinis Film «Mamma Roma» denken, der beim Absitzen seiner Strafe nach und nach die Gesänge der «Göttlichen Komödie» auswendig lernt.

In den Proben doziert Palmieri nicht über die Bedeutung, den Gehalt des jeweiligen Gesangs. Er setzt auf die Magie der Worte, von denen irgendeines den Weg ins Innere eines Lesers finden wird. Jedes Wort bei Dante, sagt er, sei ein Ereignis. Es wirke wie ein Schlüssel. / Franziska Meier, NZZ

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