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Ulrich Koch:
Ich im Bus im Bauch des Wals. Dresden: Edition Azur, 2015
(Erscheint nächste Woche)
Direkt mit einer Mail an info@edition-azur.de bestellen – keine Versandkosten
Mit Erlaubnis des Verlages hier eine Probe:
Elementares Gedicht No. 3
Wie lähmend sind eure Jamben.
Und laßt uns schweigen von euren – ihr nennt sie –
Biographien: banal wie die Zypressenschatten
auf den Bildern von Böcklin.
Wolltet ihr nicht endlich Dyslalien züchten?
Versucht euch doch einmal wie Delphine zu küssen!
Die Gesichter eurer Kinder: Machbarkeitsstudien.
Ich lebe länger ohne eure Verse.
Wann wird man euch das Kunsthandwerk legen?
Ich lese lieber Kohlhaas, treu wie Herse.
Auch in mir sind lange Gedichte, die ins Freie wollen
nach so vielen Jahren. Bald
ist die Küste erreicht, glauben sie mir immer noch.
Droht mir jetzt nicht mit Gewaltlosigkeiten.
Ich zähle mein Leben
nach Dienstjahren, unterbrochen
von wenigen Sommern.
Das Gras sagt mir alles ins Gesicht.
So möchte ich leben:
In Auflösung begriffen, im Schatten
einer cerebralen Wolke wandernd,
die mich vergißt. Ausruhend
von mir, an einem Bach,
die Kiesel kandiert vom gebrochenen
Licht; die Füße im Wasser,
vom Wasser geknickt.
Elementares Gedicht No. 12
(Was du mir vorlesen sollst, wenn ich tot bin, Sonja)
Mein Diminutivchen.
Mein Libellchen,
mein Nihilenchen.
Meine Birke,
mein Skript.
Mein Monströschen,
in Perlen aufgelöst.
Mein Bett und Bauch und Barm.
Mein Schiffchen,
mein Apokryphchen.
Mein Äugchen, mein Stäubchen,
meine Nacht und Naht.
Meine Alleine und Echte,
mein epochendes Herz:
Zur Begrüßung die Linke,
zum Abschied die Waagerechte.
Ich kann mich nicht an dich erinnern:
Wir lebten eine Nacht zusammen
in zwei leeren Duchgangszimmern.
Stoßseufzer in Zweckbauten. Kniefälle vor nichts. Selbstgespräche mit der Welt. Welche Form Ulrich Kochs Gedichte auch annehmen – immer sind sie auf verstörende Weise schön. Und auf die schönste denkbare Weise verstörend: »Jeden Morgen wäscht sie ihre Haare, / als ertränke sie eine Katze « heißt es dann, oder » Auf den Handrücken pulsen / die über Putz verlegten / blauen Adern«.
Unter dem leeren Himmel der Lüneburger Heide schreibt dieser » freundliche Misanthrop« (Martin Brinkmann) an seiner Poetik der alltäglichen Ungeheuerlichkeiten. An Gedichten, die ahnen lassen, warum uns eine flüchtige Erinnerung oder ein vor Jahren bedenkenlos hingeworfener Satz für immer verändern kann.
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