13. Meine Anthologie: Vokale

Während des Textenet-Festivals habe ich mich mehrfach mit dem Thema beschäftigt.

95. Draesners Sprachmusik

123. Gedächtniszeilen

126. Mischsprache

133. Überraschungsgast

134. Zeilen

Just da saß ich in einem Wartezimmer, wartend und lesend. Ich hatte ein robustes Taschenbuch eingesteckt, ein Suhrkamp-Taschenbuch (Mann kann es in einer Hosentasche tragen, der Arzt sagte: Ihr Gesangbuch). Es war Marcel Beyers Gedichtband „Falsches Futter“ (Suhrkamp 1997). Ich konnte lange und konzentriert lesen, gefesselt. Auf Seite 15 ein Vokalgedicht, von deutsch-österreichischer Geschichte durchtränkt wie das ganze Buch:

Kalbsdeutscher Rauschzustand

HOCHDEUTSCH ich stolpere übern Eisentritt,
gruftdunkel, Grabenkoller, lieg und blättere,
Soldatenbücherei Band 79. Ob auch ein
Buchstab nur das nervenfeuchte U. Das I
zwischen den Beinen lange nicht benutzt. Das
E darunter hängt dreiviertel abgefroren. Und
über mir die schwarze Luft und dröhnt. Die
A’s und O’s der Nebenmänner. Derweil das
Blättern HOCHDEUTSCH reg dich! Es wär, ganz
Mund, als Mann verkleidet, etwas zu entdecken,
ECHT RUSSIN, Hose runter. Liegen bleibt. Ich
stehe wieder, schaue übern Rand ins
Dunkel, Wiener Brevier mit Daumen
Zeigefinger aufgeschlagen. Da, unerwartet,
gewittert es von gegenüber, flammenzüngig,
aus einem Lauf. Das Buch klappt zu. Es
sind die Laute alle nun zu hören, zitterndes
Tirili, das aus der Leiche quillt. Dann
ist es schon vorbei HOCHDEUTSCH. Und
alles übertönend der LEOPOLDI HERMANN
quetscht, über Rot-Weiß-Rot,
Powidltatschkerln aus.

Meine Anthologie: Wortfest

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