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Mit seinem autobiografischen Antikriegsroman «The Enormous Room« (1922), der auf Erlebnissen in einem französischen Internierungslager im Ersten Weltkrieg basiert, ist der amerikanische Dichter E. E. Cummings bekannt geworden. Weit weniger bekannt waren und sind hingegen Cummings‘ frühe Gedichte, die später unter dem Titel «Tulips & Chimneys» gesammelt wurden. Hier finden sich 63 Sonette, die bereits eine experimentierfreudige, ironisch mit der traditionellen Form spielende Haltung des jungen Autors verraten.
Der virtuosen Übersetzung von Günter Plessow ist es zu verdanken, dass sich Cummings‘ Wortakrobatik im Deutschen nachvollziehen lässt. Plessow gelingt es ausgezeichnet, die von Cummings frei gehandhabte Form des Sonetts zu reimen und gleichzeitig so nah wie möglich beim Original zu bleiben. Nur wo die genüsslich ausgekosteten Eigenheiten des Englischen eine deutsche Annäherung untersagen, erkennt Plessow eine nicht überschreitbare Grenze an – was sicherlich eine bessere und ehrlichere Lösung darstellt als phantasievolle Fortschreibungen….
Nicht nur die exklusive Interpunktion (die beispielsweise den Leerschlag nach dem Komma unterlässt) und die alle Regeln durchbrechende Gross- und Kleinschreibung lassen allenthalben den späteren Sprachexperimentator mehr als erahnen; auch viele Formulierungen bersten geradezu von spöttischer Lust am Neuen. Da finden sich Bilder wie: «seligkeit / gib mir zur speise,wurm-zerlesen,wie / ich speise bin dem hungermund der zeit» oder ein Regen «der verängstigte felder beschenkt / mit höherem staub-des-schlafes». Bereits in diesen Gedichten zeigt sich, was Cummings‘ Werk generell charakterisiert: das Nebeneinander von traditionellen und experimentellen Formen und Inhalten, von nur auf sich selbst verweisender und auf eine aussersprachliche Wirklichkeit bezogener Sprache. / Jürgen Brôcan, NZZ 18.7.
E. E. Cummings: was spielt der leierkasten eigentlich. Die frühen Sonette. Deutsch von Günter Plessow. Urs Engeler Editor, Basel / Weil am Rhein 2009. 160 S., Fr. 29.–.
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