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Veröffentlicht am 18. Februar 2012 von lyrikzeitung
Mag sein, dass die intensive Beschäftigung mit Musik, die ja nur sehr eingeschränkt über eine Semantik verfügt, Rühms Literaturauffassung geprägt hat, und es versteht sich, dass er auch auf dem Gebiet eine Vorliebe hat für konstruktivistische Tendenzen. Sein Lehrer war Josef Matthias Hauer, der schon vor Schönberg eine Zwölftonmusik-Theorie entwarf. In den von Rühm in seiner Dichtung angewandten kombinatorischen Verfahren kann man mühelos starke Ähnlichkeiten zu Techniken der Minimal Music ausmachen.
Im Übrigen ist es ein Missverständnis, wenn man derlei Kunst für unpolitisch hält. Nur setzen Autoren, die so arbeiten, nicht auf die unmittelbare politische Aussage, sondern auf das politische Potenzial rationalen Denkens. Das kann ausgesprochen unterhaltsam sein. Das Spiel ist Rühms Dichtung verwandter als die Botschaft. Die lautliche Seite der Sprache ist ihr nicht weniger wichtig als die semantische und pragmatische. Sie verweist stets weniger auf eine außersprachliche Wirklichkeit als auf sich selbst – und folgt damit einem Kriterium, das nach Ansicht einiger bedeutender Theoretiker Literatur überhaupt erst konstituiert. Rühm steht damit im Zentrum einer ihrerseits marginalisierten Tradition des 20.Jahrhunderts, die weit über Österreich hinausgeht und von Chlebnikov und Krutschonych über Heißenbüttel bis zu Raymond Queneau und Georges Perec reicht. / Thomas Rothschild, Die Presse 18.2.
Kategorie: Österreich, DeutschSchlagworte: Alexej Krutschonych, Georges Perec, Gerhard Rühm, Helmut Heißenbüttel, Josef Matthias Hauer, Raymond Queneau, Thomas Rothschild, Welimir Chlebnikow
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