112. Zeitgenosse Caravaggio

„Caravaggio ist unser Zeitgenosse“, schreibt Henning Mankell über den frühbarocken Maler Michelangelo Merisi und dichtet: „Er sieht unsere Zeit, / Bevor sie eintrifft, / Und er lässt uns selbst sehen / In der Unsicherheit, in der er selbst lebte (. . .) / Das Leben kann nie ohne Risiko gelebt werden, / Immer gibt es eine Bedrohung / Oft nicht sichtbar aber zwischen / Den Zeilen, die er malt, können wir uns selbst sehen, / Unsere eigene Angst.“

Nun ließe sich einwenden, dass Künstler keine Zeilen malen und Gemälde nicht linear von oben nach unten lesbar sind wie ein Roman. Sie bieten dem Auge, wie Leonardo da Vinci bemerkte, alle Informationen zugleich, was die einzigartige Unmittelbarkeit der Malerei und die besondere Freiheit ihrer Betrachter ausmacht. Aber mit dem paragone der alten Schule, dem Wettstreit von Literatur, Musik und Kunst, ist der anhaltenden Flut der Liebeserklärungen aus den Nachbarkünsten an Caravaggio nicht beizukommen. Zu tief sitzen die Ängste und Sehnsüchte, die gerade dieser Altmeister unserer Gegenwart spiegelt. Von Dario Fo bis Martin Walser, von Cindy Shermans Performances bis zum Ballett der Staatsoper Berlin war der wegen Totschlags verurteilte Maler Thema. / KIA VAHLAND, SZ 12.3.

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