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Einen Remix zu basteln ist in der Popmusik gang und gebe. Stephan Flommersfeld hat das Selbe mit der „Letternmusik“ von A.J. Weigoni gemacht, herausgekommen ist die aktuelle Variante eines drama giocoso. Die Fertigstellung seines Remix ist gebunden an den Umstand, daß das Ganze wiederum „Sinn“ macht, das unterscheidet den Remix von Stephan Flommersfeld von einem Remake und vom Recycling: Remixen ist hier auch eine Autorenangelegenheit. Die ideale Form für den Remix ist der Clip: ein audiophones Geschehen, das sowohl in der Länge als auch im inneren Aufbau (Refrain, Strophe, Bridge) einem Popsong ähnelt. Tatsächlich benutzt Stephan Flommersfeld gern einen solchen als Grundlage für die Montage. Dieser Remix der »Letternmusik« ist ein Platz für den artistischen Bau autarker Sprachkonstrukte außerhalb der alltäglichen Rede und normierter Sprachregularien. Dieses Freigelassene, Strömende entsteht durch Präzision, Klarheit und Konzentration. Diese Gedichte oszillieren zwischen dem lyrischen Protestgedicht und dem politischen Liebesgedicht. Sie sollen daran erinnern, was Poesie ursprünglich war: Gesang, Melodie und Rhythmus, Reim und Versmass, Litanei und Mythos. In einem beständigen Remix der Töne wird die entzweite Welt neu zusammengefügt. Mit ihrem parlandoartigen Konversationston changiert Flommersfelds neue Komposition zwischen Komödie und Tragödie. Die Klangbilder sind scharf konturiert, agogische und dynamische Verläufe oft abrupt, die Farben abwechselnd grell und düster. Die Wahl der Tempi macht die unerbittliche Dringlichkeit der Verläufe spürbar, und manchmal überstürzen sich die Dinge und die Musik mit ihnen. Sie ist immer mitten im Kern des Geschehens und trägt auch immer zu dessen Deutung bei. Diese Komposition ist von hypnotischer Wirkung, minimalistisch und doch komplex, hochgradig virtuos, ungeheuer rauschhaft in den Ausbrüchen, getragen von einer tiefen Spiritualität und Innerlichkeit. Es ist schwer, sich den Reizen dieser Klangwelten zu entziehen. Flommersfelds Komposition hat viele eindrucksvolle Momente, vor allem im Lyrischen. Nach Spielerei klingt das nicht, alles findet wie selbstverständlich zueinander. Mal hallen düstere Akkorde wie von weit her, mal flirren Melodien in seltsam schillernden Farben. Die Kompositionen von Stephan Flommersfeld entspringen einem emotionalen Kontext. Am Anfang ist das fühlende Subjekt. In ihm entsteht die Musik, die dann nach außen tritt. Ihr Klang ist reine Ästhetik, abhängig von äußeren Einflüssen. »Letternmusik, ein drama giocoso von Stephan Flommersfeld & A.J. Weigoni« findet sich ab Mai 2009 auf: http://www.hoerspielprojekt.de/MetaPhone/ Die Aufnahme ist in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de
/ Matthias Hagedorn
Dieser Beitrag war ursprünglich ein Kommentar zu #21. Radiokolleg – Poesie am Flügel – Musik im Gedicht
Ich verweise bei dieser Gelegenheit auch auf einen längeren Kommentar von mir zu einem Kommentar über Friederike Mayröcker und die Notwendigkeit, jeden Text zu dekonstruieren, hier: #14. Verluste
Ohrenzwinkern, die AV-Reihe der Edition Das Labor
Die Edition Das Labor lanciert mit Ohrenzwinkern ein Label, auf dem Facetten der multimedialen Kunst zugänglich macht, die nach den herkömmlichen Marktgesetzen unerschlossen bleiben. „Den Markt“ muß man entmystifizieren. Der Kunstmarkt besteht aus vielen Menschen, die nur drauf warten, dass sich an dem aus den USA importierten Standard etwas ändert. Das aufgeklärte Publikum erwartet auf Künstler, die den Vorhang aufreißen, um in einer anderen Form zu erzählen. Wir haben im deutschsprachigen Raum nur das Standardisierte und das sich sehr radikal gerierende Kunstkino oder abseitige Avantgardeliteratur. Es gibt andere Erzählformen, sie werden in der Edition Das Labor präsentiert.
Die DVD ist das Medium, das mehr als ein anderes zuvor die Geschichte der multimedialen Arbeit gegenwärtig zu halten erlaubt. An der Schnittstelle zwischen der virtuellen, freien Verfüg– und Kopierbarkeit der Internet–Archive, der subventionierten Museen und der durch Kopierschutz und Regionalcodes geregelten Verwertbarkeit auf Kapitalmärkten. Die AV-Reihe Ohrenzwinkern will physische und metaphorische Prozesse des Verharrens, des Abschieds, des Übergangs und der Verwandlung abbilden, ihnen nachspüren, sie aufschlüsseln.
Fortzuhören ist schwieriger, als fortzublicken. Hören bedeutet Eintauchen, es birgt ein Potenzial an Regression, so daß sich der Hörer im besten Fall an den tiefsten Orten seines Wesens berührt fühlt. Das Gehör ist der erste Sinn, der sich im Mutterleib bildet, und der letzte, den der Sterbende verliert. Die Faszination des Hörbuchs geht daher über die Lust an Geschichten hinaus und reicht, anthropologisch betrachtet, sehr tief.
Selten gehörte und gezeigte multimediale Arbeiten aus den Beständen werden in der Reihe Ohrenzwinkern auf DVD und CD wieder allgemein zugänglich gemacht. Die Restauration von »Schland« ist beispielsweise eine Resynchronisation, die Bild und Ton des Films, im vorliegenden Original gegeneinander verrutscht, wieder in den richtigen Bezug zueinander bringt. Auch bei den anderen Ausgaben wird die geheime Ordnung der Bilder und der Töne erkundet.
Die Edition Ohrenzwinkern versteht sich als zeitgenössische Form, über Kunst- und Literaturgeschichte nachzudenken. In formschönen DVD-Hüllen wird dem Sammler eine Reihe präsentiert, die eine Zierde für jedes Bücherregal darstellt. Die Zukunft der Vergangenheit der multimedialen Arbeit sieht dank DVD und CD anders aus. Mit dieser Edition läßt sich ein Stück davon in Augenschein nehmen.
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