93. Das Heilige

Das Heilige ist noch immer, was es einmal war: ein von Menschen geschaffenes Mysterium, das Physischem metaphysische Bedeutung verleiht. So ließe sich die beruhigende Seite dessen zusammenfassen, was der österreichische Dichter Raoul Schrott im Renaissance-Theater vortrug. Im Rahmen der Berliner Lektionen als „poeta doctus“, als gelehrter Dichter vorgestellt, verhehlte Schrott denn auch nicht, dass er „ein diffiziles Thema mitgebracht“ habe, einen Streifzug durch die Politik des Heiligen.

Das Beunruhigende dieses Streifzugs: Während die christlichen Religionen in Mitteleuropa an Bedeutung verlieren, wandert das Sakrale aus in andere Sphären.

Ob sich Fahnen zu Symbolen einer Nation wandeln, ob Schriftsteller durch die Zeremonie der Nobelpreisverleihung in den Kreis der Unsterblichen aufgenommen werden, ob Stars und Starlets durch Paparazzi einen Schein des Göttlichen erhalten – in den verschiedenen Zusammenhängen würden Dinge und Personen dem profanen Gebrauch entzogen und zu Manifestationen des Heiligen erklärt. Verklärt und in die Ferne gerückt, spiegelten sie unsere Vorstellung von Vollkommenheit wider. „Was den Figuren des Heiligen ihre Anziehungskraft und Macht verleiht, ist das kollektiv Menschliche der Projektionen auf sie“, so Schrott. / Thomas Wegmann, Tagesspiegel 14.12.

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