65. Venus und Adonis

Wenn die von Claus Eckermann vorgelegte Sonett-Übersetzung (2012) bisweilen manieriert erscheint, dann gilt Gleiches für seine jüngst erschienene Venus und Adonis-Übersetzung. Doch während dieser Manierismus der gedanklichen Beweglichkeit und der in Teilen radikalen Perspektive der Sonette nicht ganz gerecht wird, ist die gekünstelte Sprache hier ein großer Gewinn. Venus ist entbrannt für Adonis, Adonis zeigt ihr seine kalte Schulter – bei Eckermann liest man:

„Gib Mitleid,“ ruft sie, „Gunst und Gnade mir!“
Doch er springt fort und läuft zu seinem Tier.

Melodramatisch und satirisch verfremdet erscheinen diese Zeilen. Schillers „Sir, geben sie Gedankenfreiheit“ kommt einem bei „Gib Mitleid“ in den Sinn. Eckermann opfert das idiomatische „Hab Mitleid“, das textnähere „Mitleid“ oder Freiligraths „O Mitleid“ (1850) einer rhetorischen Spielerei, dem Zeugma. Dabei ist Shakespeares Venus hier bereits mit ihrem Latein und ihrer Rhetorik am Ende. Farcenhaft erscheint die vergebliche Liebesmüh’ der Göttin zu dem Jüngling Adonis. Und das Objekt ihrer Begierde wird von einer Antiklimax zur nächsten getrieben. Hier versucht er vergeblich „zu seinem Tier“ zu laufen. Bei Freiligrath war es immerhin noch sein Pferd:

„O Mitleid,“ ruft sie, „bin ich nichts denn wert?“
Doch er springt auf, und eilt nach seinem Pferd.

Bei Shakespeare heißt es:

„Pity,“ she cries, „some favour, some remorse!“
Away he springs, and hasteth to his horse.

In zwei Zeilen bringt Shakespeare hier die Verzweiflung Venus’ und die Hasenfüßigkeit Adonis’ auf den Punkt. Das ist tragisch, aber in der Anlage natürlich auch melodramatisch avant la lettre. Shakespeare dichtet parataktisch, Eckermann auch, aber die rhetorische Raffinesse in der Übertragung lässt unweigerlich eine ironische Brechung vermuten, eine Distanz zwischen Figurenperspektive, hier Venus’ Perspektive, und der Perspektive der Erzählinstanz. Diese ironische Brechung, die in Shakespeares Ovid-Lektüre bereits angelegt ist, präpariert Eckermanns Übersetzung großartig heraus. / Felix Sprang, literaturkritik.de

William Shakespeare: Venus und Adonis. Englisch/deutsch. 
Mit einem Nachwort von Christa Jansohn und Dieter Mehl. 
Übersetzt aus dem Englischen von Claus Eckermann. 
NOA NOA Hörbuchedition, München 2014. 
100 Seiten, 4,90 EUR.
ISBN-13: 9783932929823

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