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In vielem hat die Popmusik heute die Funktion übernommen, die einst Gedichte hatten (deren Vertonungen als Kunstlied so etwas wie die Popmusik des 19. Jahrhunderts waren). Nadja Küchenmeister nimmt in ihren Gedichten beides auf: lyrics und Lyrik. Stefan George und Rainer Maria Rilke dienen ebenso selbstverständlich (und selbstbewusst) als Bezugspunkte wie Terry Jacks‘ Welthit „Seasons in the Sun“, der – eine Adaption von Jacques Brels „Le Moribond“ – die Abschiedsworte eines Sterbenden wiedergibt: „Goodbye Papa, it’s hard to die …“
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Gänzlich hoffnungslos und verschattet sind diese Gedichte aber nicht. „Das amerikanische licht“ ist so ein Hoffnungsschimmer, der einst utopisch in die DDR-Kindheit der Autorin fiel. Als Subtext spielt die Wende eine zentrale Rolle – als Barriere, die das Ich von der untergegangenen Welt seiner Kindheit trennt. Die grundlegende Verlusterfahrung der „Zonenkinder“ erklärt einiges von der Grundstimmung dieses Bandes und stellt Küchenmeister in eine Reihe mit ostdeutschen Prosa-Autorinnen wie Julia Schoch oder Antje Rávic Strubel. Auch das amerikanische Licht von einst war womöglich nur „ein trick der sonne“. Kann eine solche Nacht je zu Ende gehen? „Wenn etwas heilen, wirklich / heilen kann, dann ist das morgenlicht bestimmt ein teil davon.“ / Richard Kämmerlings, Komm auf die totgesagte Datsche und schau. Die Welt 27.12.
Nadja Küchenmeister: Unter dem Wacholder. Gedichte. Schöffling & Co., Frankfurt/Main. 112 S., 18,95 €.
Die Kunstlieder, die heute noch beliebt sind, sind in der Regel nicht die, die damals populär waren. Das was damals populär ist, da ist selbst der heute doch als etwas dünn empfundene Karl Löwe manchem noch zu schwer vorgekommen. Da ist ein massiver Filter davor: Wir haben uns jene wenigen aufgehoben, z.B. die nicht so populätre Winterreise oder Schumanns Eichendorflieder und halten die heute für das, was Kunstlied war. Das sind gute Lieder, aber das Genre sollten wir uns daran nicht vorstellen. (Das kann man ja schon daran sehen, was selbst Schubertliebhaber von Schuberts Liedern wertschätzen. Das ist ja doch ein sehr spezieller und meist auch sehr kleiner Teil dessen, was er geschrieben hat.) Man schlage z.B. im seinerzeit vielgelesenen Carl Ludwig Schleich „Besonnte Vergangenheit“ nach, was die Leute damals gehört haben, um welche Lieder es da geht. Das findet man auf Youtube oft nicht einmal, obwohls da allerhand abseitiges gibt und von den bekannten Komponisten noch die Neben- und Seitenstücke. Es ist im Grunde schon eine Kultur, zu der wir eigentlich keinen bezug mehr haben, wenn wir Bezug noch finden, dann nicht unbedingt, weil es Kunstlieder sind, sondern eher wohl trotz dessen.
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vertonung von gedichten im kunstlied als pop des 19. jh. so ein unsinn. als ob nicht vielmehr die vorgaben der technischen reproduzierbarkeit den pop bestimmten ein gedicht zeichnet sich doch gerade durch nichtunterwerfung unter seine verwertung aus. es ist eben das gegenteil von pop.
(hab mich grad auf fb schon aufgeregt: ps. das ist nicht gegen küchenmeister gerichtet, sondern gegen kämmerlings)
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Aber im 19. Jahrhundert wurden nunmal viele Gedichte vertont. Und diese Vertonungen sind auch heute noch sehr beliebt, um nicht zu sagen: populär. Und waren es wohl damals schon, um gleich einer Gegenfrage zuvorzukommen.
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ja. aber im gegensatz zu popmusik halten sie sich nicht an die 3 minuten normlänge, die der reproduktionstechnik (edisonwalze) entspringt. und sie werden auch relativ selten im radio gespielt
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