7. Ins Gehäus

Der Dichter Ulrich Zieger ist ein Liebhaber der Abgeschiedenheit: Sein Lebensweg ist dechiffrierbar als schrittweiser Rückzug in das kontemplative „Gehäus“, das seinem jüngsten Band den Titel gegeben hat. Als er vor zwei Jahrzehnten unter den nervösen Dichtern der „Prenzlauer Berg-Connection“ (Adolf Endler) auftauchte, war spürbar, dass hier eine poetische Stimme von großer Intensität sprach, ein Nachfahre Rimbauds. „Ich bin wahrlich süchtig geworden nach dieser Art des Schweigens“, schrieb Uwe Kolbe über seinen Kollegen, „es geht eine Kraft aus von ihm, die von Gedicht zu Gedicht aufbrandender, zwingender wird.“

Aus dem überreizten Berlin, wo er in die Netzwerke der doppelbödigen Ostberliner Literatur-Dissidenten involviert war, zog sich der Einzelgänger 1989 nach Südfrankreich zurück. Zuvor hatte er sich als Mitherausgeber der Independent-Magazine „Schaden“ und „Verwendung“ betätigt. Zu dieser Zeit entwickelte er seinen luziden Surrealismus, der die Gegenstände seiner Poesie aus den Koordinaten der Alltagsvernunft befreit und in wundersame Schwebezustände versetzt. / Michael Braun, Badische Zeitung

Ulrich Zieger: Aufwartungen im Gehäus. Edition Rugerup, Berlin/Hörby 2011. 140 Seiten, 17,90 Euro.

One Comment on “7. Ins Gehäus

  1. Diese Besprechung Brauns findet sich in veränderter Form schon im Poetenladen (Akrobat-Neue Folge 7),
    dort unter der Überschrift: „Das große Verschwinden“…in der Badischen Zeitung steht über der Rezension: „Ein großes Fortgehen“. Warum machen mich diese beiden, sich einander sehr ähnlichen Besprechungen nicht glücklich ? Weil in ihnen jegliche euphorische Geste, jede dieser wirklich großen Poesie angemessene sprachliche Zuordnung fehlt, bewußt fehlt, eine Rezensentensprache, mit der nachgewiesen werden könnte, daß es sich hierbei um außerordentliche Gedichte handelt, wie sie in Deutschland nur noch höchst selten zu finden sind.
    „Man könne bei klarem Verstand auch den Wind essen.“ (Zieger) Seine Gedichtbände „Neunzehnhundertfünfundsechzig“, „Große beruhigte Körper“, das Poem „Schwarzland“ und jetzt eben auch „Aufwartungen im Gehäus“ gehören für mich zu den eigenständigsten und elementarsten Lyrikveröffentlichungen der letzten 20 Jahre. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ulrich Zieger ein „Liebhaber der Abgeschiedenheit“ (Braun) ist, aber er existiert am Rand. Rezensionen, die derart gedämpft lieber vom einstigen Fortgehen als von einer glücklichen Wiederkehr handeln, sind dann doch wohl eher Anleitungen zum Verschwinden.

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