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Veröffentlicht am 31. Dezember 2025 von lyrikzeitung
Rezension zu Diego Valverde Villena: Feuerzungen. Gedichte. Aus dem Spanischen von Harry Oberländer. [span./dt.]. Frankfurt/Main: Edition Faust, 2024. Teil 1. Fortsetzung im nächsten Jahr.
Von Michael Gratz (Greifswald)
Diego Valverde Villena (* 6. April 1967 in Lima, Peru) ist ein peruanischer und spanischer Dichter und Übersetzer.
Bei dem Titel „Feuerzungen“ dachte ich Heidenkind zunächst an Paul Celan. Eine Zeile hing mir im Kopf, ich musste erst nachschlagen, um zu bemerken, dass sie gar nicht von Celan, sondern von Ossip Mandelstam ist – aber in Celans Übersetzung.
ES TILGEN FEUERZUNGEN
mein trocknes, morsches Sein:
vom Holz sei jetzt gesungen,
geschwiegen jetzt vom Stein.
Valverde aber gibt einen anderen, einen sehr konkreten biblischen Hinweis. Dem Buch steht ein Motto voran, Apostelgeschichte 2, 3. Es ist auf Latein und bringt die nächste Überraschung für mich: der Autor zitiert tatsächlich die Vulgata, von der ich in der DDR-Schule gelernt habe, dass sie nur eine fehlerhafte Übersetzung des griechischen Originaltexts ist und dass Luther und Melanchthon auf die Quellen zurückgingen. Ich muss lernen, dass sie all die Jahrhunderte weiter existiert hat und benutzt wird!
Ich schlage in meiner Lutherbibel von 1980 nach. Kapitel 2 Vers 3 lautet dort:
Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen
Keine Feuerzungen, sondern nur „wie von Feuer“. Die Lutherbibel von 2017 ist anscheinend etwas präziser: „zerteilt und wie von Feuer“, so dass klargestellt ist, dass nicht die Zungen „wie von Feuer zerteilt“ sind, sondern die zerteilten (gespaltenen?) Zungen wie von/aus Feuer – eben Feuerzungen. (Die Zweideutigkeit stammt nicht von Luther, bei dem das klarer ist: „Vnd man sahe an jnen die Zungen zerteilet / als weren sie fewrig“). Es nicht so einfach mit dem Übersetzen, wie ja schon Faust wusste, und Valverdes Buch erschien in der Edition Faust. Was sagt der Autor? Der lateinische Text im Motto lautet: apparuerunt illis dispertitae / linguae tanquam ignis … Ich übersetze: Und es erschienen ihnen Zungen, die sich wie Feuer teilten. Tanquam, wie, als ob… Das Titelwort Feuerzungen kommt im Gedichtband zweimal vor, im Vorwort des Autors (da bezieht er sich aber schon auf die deutsche Ausgabe mit diesem Titel) und im Gedicht „Betende Polinnen“:
der Körper und das Blut
auf den Knien
Ihre Augen Feuerzungen
Allerdings als Kompositum nur in der deutschen Fassung. Das Original:
el cuerpo y la sangre
arrodillados
Sus ojos lenguas de fuego
(Ihre Augen Zungen von Feuer). Wir haben also als Geschenk der deutschen Sprache das Wort „Feuerzungen“, aber auch im Spanischen, lenguas de fuego, Zungen aus Feuer, ist die Verabsolutierung der Metapher durchgeführt: nicht „als wären sie aus Feuer“, sondern tatsächlich Zungen aus Feuer, Feuerzungen. Valverde verdoppelt und verabsolutiert die Verwandlung des Vergleichs in eine Metapher noch, Doppel-, Dreifachmetapher: der Körper (und sogar das Blut) sind auf den Knien, die Augen Feuerzungen.
Erste überraschende Bilanz: Valverde ist Katholik, und er zitiert DIE lateinische Bibel, die Vulgata. Die „Betenden Polinnen“ verstärken die Vermutung, dass Katholizität eine noch größere Rolle spielt, wir werden dem nachgehen.
Fortsetzung morgen.
Kategorie: Peru, Spanien, SpanischSchlagworte: Apostelgeschichte 2 3, Übersetzung Lyrik, biblische Metaphorik, Diego Valverde Villena, Edition Faust, Feuerzungen, Feuerzungen Gedichte, Gedichtrezension, Gegenwartslyrik, Harry Oberländer, katholische Lyrik, L&Poe Journal, L&Poe Journal 2025, lateinamerikanische Lyrik, lenguas de fuego, Michael Gratz, Mystik und Metapher, peruanische Lyrik, spanische Lyrik, Vulgata
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