Stieg er so weit hinab?

Ulla Hahn 

(* 30. April 1945 in Brachthausen, heute Kirchhundem im Sauerland)

Aus: Elegie auf einen Dichter

Hatte er Kinder? Eine Frau? Hund Vogel Katze? Hatte
sein Haus ein Dach?
War er von denen einer die aus Limousinen steigen
hinunter in die Bar ins Grab und
tiefer dahin wo Gut und Böse ihren blondgelockten
Unterschied verlieren Stieg er so weit hinab?

Ein Bauer schaut den Feldern dankbar zu
Was kümmern ihn die Wurzeln Er sieht
wie Korn die Halme füllt und stellt sich
Mittags in der Bäume Schatten

Tat das der Dichter auch? Stieß er das Fenster auf
wenn es ihm nicht gelang und setzte sich dem Schatten
eines größeren Schöpfers aus? Ließ er sein einsames
Gesicht vom Mond bestrahlen wenn er es nicht mehr aushielt
das Geschrei der Toten in den Büchern

Der Jäger jagt sein Wild mit Schlingen und mit Fallen
der Fischer reißt den Haken aus dem Maul zu kleiner Fische
wirft sie zurück und deckt die Augen dem der daliegt zu
im eisigen Bach

Tat das der Dichter auch? Hat er die Folianten durchgestürmt?
Das Leben? Lebte er Aug
in Auge? Oder Wort für Wort? Sprach er das Wort aus
leicht sprach er es schwer schnell langsam mit Bedacht Sprach er so
wie man das Korn sät für das Brot? Nahm er
den Wörtern ihre Dornen gab er sie zurück?
Hat er gespart? Für andere? Für sich? Hat er den Hut gezogen? Zahlte
er die Steuern? In frostigen Zeiten raschelte
das Alphabet wie steifgefrorenes Gras wenn er hindurchging
und schnitt in seine bloße Haut.

(…)

Hatte er Kinder? Eine Frau? Hund Vogel Katze? Hatte
sein Haus ein Dach? Ein Ende? Glücklich wie im Bilderbuch so
wenn der böse Wicht stirbt und wir
leben weiter. Man sagt man habe ihn gefunden
lächelnd Lächelnd zuletzt wie einer der zuletzt lacht
Eitelkeit Staub und Asche auf einer leeren Seite.

Aus: Versnetze. Das große Buch der neuen deutschen Lyrik. Hrsg. von Axel Kutsch. Weilerswist: Ralf Liebe, 2008, S. 85 u. 87

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