Zargrad

Eine wichtige Rolle bei der geistigen Aufrüstung Russlands spielte im russisch-türkischen Krieg von 1877/78 auch Fjodor Dostojewski. In seinem «Tagebuch eines Schriftstellers» gab der berühmte Romanautor seiner Überzeugung Ausdruck, dass «das Goldene Horn und Konstantinopel unser sein werden». Den Krieg selbst bezeichnete er als «reinigendes Gewitter», das die gesellschaftliche Solidarität zwischen der Bauernschaft und dem Adel in Russland stärken werde. Vorbereitet wurden Dostojewskis patriotische Ideen durch den Lyriker Fjodor Tjutschew, der 1850 in seiner «Weissagung» gedichtet hatte: «Und die alten Gewölbe der Hagia Sophia / und das erneuerte Byzanz / werden erneut den Altar Christi umfassen. / Fall vor ihm nieder, o russischer Zar / und auferstehe als Zar aller Slawen!»

Solch hochfahrende Visionen spielten eine wichtige Rolle bei der Entfesselung des Krimkriegs (1853–1856). Die russische Gesellschaft befand sich in einem patriotischen Taumel – man träumte von einer panslawischen Föderation unter russischer Führung. Einer der Wortführer dieses Programms war der erzkonservative Publizist Michail Pogodin, der das eroberte Konstantinopel sogar zur neuen russischen Hauptstadt machen wollte. Allerdings wurden seine Erwartungen bald enttäuscht: Russland unterlag schmählich in diesem Waffengang gegen das Osmanische Reich.

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In der patriotischen Literatur ist der Traum vom russischen Konstantinopel auch heute noch nicht ganz ausgeträumt. Der Petersburger Erfolgsautor Pawel Krusanow veröffentlichte im Jahr 2000 seinen Roman «Der Biss des Engels», der in einem utopischen Russischen Reich mit der Hauptstadt Zargrad spielt – Zargrad ist die russische Bezeichnung für Byzanz. Im August 2001 publizierte er – gemeinsam mit dem Philosophen Alexander Sekazki – einen offenen Brief, in dem er zur Ausweitung des russischen Imperiums an seine «unsichtbaren Grenzen» aufrief: «Zargrad, Bosporus, Dardanellen.» / Ulrich M. Schmid, NZZ

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